sie nicht geradezu von einem künftigen Ehebündnisse reden, so denken sie doch gewiß daran. Denn sie wollen um jeden Preis unter die Haube kommen, und kennen ihres Vaters Lage, ihre drohende Armuth, wie ihr Ein mal Eins.
Kaum wird sich Jemand unter meinen jüngeren Lesern deutlich machen können, wie abgeschlossen, wie fern von der Welt und von Allem, was sie bewegt, vor fünfzig, -- ja vierzig, dreißig Jahren noch, die Bewohner eines solchen Dorfes vegetirten, durch wel- ches keine Straße führt; in welches sich oft Jahrelang nicht einmal ein wandernder Handwerksbursche ver- irrte; wohin allwöchentlich nur einmal das bereits altgewordene Zeitungsblatt aus der Hauptstadt, und auch dieses nur dann gelangte, wofern der danach ausgesandte Hirtenjunge den glücklichen Moment nicht versäumte, in welchem die "ordinäre Post" durch's Nachbardorf schlich und ein stets versoffener Schirr- meister gerade nicht vergaß, dem ängstlich Harrenden dieersehnten Blätter zuzuwerfen. Durch Puschel und Rubs kam auch nichts Geistiges von Außen in's ein- förmige Leben der Familie, denn beide kämpften sich auch nur zwischen Entbehrung und erzwungenem Fleiße durch, ohne in der Stadt irgend eines fördern-
Die Vagabunden, I. 6
ſie nicht geradezu von einem kuͤnftigen Ehebuͤndniſſe reden, ſo denken ſie doch gewiß daran. Denn ſie wollen um jeden Preis unter die Haube kommen, und kennen ihres Vaters Lage, ihre drohende Armuth, wie ihr Ein mal Eins.
Kaum wird ſich Jemand unter meinen juͤngeren Leſern deutlich machen koͤnnen, wie abgeſchloſſen, wie fern von der Welt und von Allem, was ſie bewegt, vor fuͤnfzig, — ja vierzig, dreißig Jahren noch, die Bewohner eines ſolchen Dorfes vegetirten, durch wel- ches keine Straße fuͤhrt; in welches ſich oft Jahrelang nicht einmal ein wandernder Handwerksburſche ver- irrte; wohin allwoͤchentlich nur einmal das bereits altgewordene Zeitungsblatt aus der Hauptſtadt, und auch dieſes nur dann gelangte, wofern der danach ausgeſandte Hirtenjunge den gluͤcklichen Moment nicht verſaͤumte, in welchem die „ordinaͤre Poſt“ durch’s Nachbardorf ſchlich und ein ſtets verſoffener Schirr- meiſter gerade nicht vergaß, dem aͤngſtlich Harrenden dieerſehnten Blaͤtter zuzuwerfen. Durch Puſchel und Rubs kam auch nichts Geiſtiges von Außen in’s ein- foͤrmige Leben der Familie, denn beide kaͤmpften ſich auch nur zwiſchen Entbehrung und erzwungenem Fleiße durch, ohne in der Stadt irgend eines foͤrdern-
Die Vagabunden, I. 6
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ſie nicht geradezu von einem kuͤnftigen Ehebuͤndniſſe
reden, ſo denken ſie doch gewiß daran. Denn ſie
wollen um jeden Preis unter die Haube kommen,
und kennen ihres Vaters Lage, ihre drohende Armuth,
wie ihr Ein mal Eins.
Kaum wird ſich Jemand unter meinen juͤngeren
Leſern deutlich machen koͤnnen, wie abgeſchloſſen, wie
fern von der Welt und von Allem, was ſie bewegt,
vor fuͤnfzig, — ja vierzig, dreißig Jahren noch, die
Bewohner eines ſolchen Dorfes vegetirten, durch wel-
ches keine Straße fuͤhrt; in welches ſich oft Jahrelang
nicht einmal ein wandernder Handwerksburſche ver-
irrte; wohin allwoͤchentlich nur einmal das bereits
altgewordene Zeitungsblatt aus der Hauptſtadt, und
auch dieſes nur dann gelangte, wofern der danach
ausgeſandte Hirtenjunge den gluͤcklichen Moment nicht
verſaͤumte, in welchem die „ordinaͤre Poſt“ durch’s
Nachbardorf ſchlich und ein ſtets verſoffener Schirr-
meiſter gerade nicht vergaß, dem aͤngſtlich Harrenden
dieerſehnten Blaͤtter zuzuwerfen. Durch Puſchel und
Rubs kam auch nichts Geiſtiges von Außen in’s ein-
foͤrmige Leben der Familie, denn beide kaͤmpften ſich
auch nur zwiſchen Entbehrung und erzwungenem
Fleiße durch, ohne in der Stadt irgend eines foͤrdern-
Die Vagabunden, I. 6
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Holtei, Karl von: Die Vagabunden. Bd. 1. Breslau, 1852, S. 81. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/holtei_vagabunden01_1852/97>, abgerufen am 25.11.2024.
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