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Holtei, Karl von: Die Vagabunden. Bd. 1. Breslau, 1852.

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immer, wenn ich singe, sänge Deine Seele mit? Na,
so laß' sie singen, die alte Seele! Mir ist leichter und
besser dabei, wie wenn ich's Maul halte."

Jch weiß nicht, wie Du mir vorkommst, Anton?
Seit gestern fängst Du an, Deinem Vater -- Gott
verzeih' ihm! -- ähnlich zu sehen. Wie Du jetzt
gesungen hast, glaubt' ich, er säße vor mir.

"Was Dir doch einfällt, Alte. Hast Du Dich
nicht heiser geredet, mir zu beweisen, ich wär' meiner
Mutter lebendiges Kontrafei, oder wie sie's nennen?"

Doch Anton, doch. Früher warst Du's. Jetzt
tritt auch der Vater hervor.

"Das macht, weil ich Mann werde!"

Der Himmel gebe, daß es bei dieser Aehnlich-
keit sein Bewenden haben möge!

Anton schwieg einige Minuten mit niedergeschla-
genem Blicke. Dann hub er die Augen zu ihr empor
und sagte: "Großmutter wir können nicht ändern,
was über uns verhängt ist. Wohl jedem, der einen
Vater achten und lieben darf! Wer aber niemals
einen besaß, den er so nennen konnte; wer aufwächst,
in der Meinung, sein Vater sei ihm verloren und
todt, und ihn dann nur findet, um zu hören: es sei
ein schlechter Vater! -- Der muß sich dann auch

immer, wenn ich ſinge, ſaͤnge Deine Seele mit? Na,
ſo laß’ ſie ſingen, die alte Seele! Mir iſt leichter und
beſſer dabei, wie wenn ich’s Maul halte.“

Jch weiß nicht, wie Du mir vorkommſt, Anton?
Seit geſtern faͤngſt Du an, Deinem Vater — Gott
verzeih’ ihm! — aͤhnlich zu ſehen. Wie Du jetzt
geſungen haſt, glaubt’ ich, er ſaͤße vor mir.

„Was Dir doch einfaͤllt, Alte. Haſt Du Dich
nicht heiſer geredet, mir zu beweiſen, ich waͤr’ meiner
Mutter lebendiges Kontrafei, oder wie ſie’s nennen?“

Doch Anton, doch. Fruͤher warſt Du’s. Jetzt
tritt auch der Vater hervor.

„Das macht, weil ich Mann werde!“

Der Himmel gebe, daß es bei dieſer Aehnlich-
keit ſein Bewenden haben moͤge!

Anton ſchwieg einige Minuten mit niedergeſchla-
genem Blicke. Dann hub er die Augen zu ihr empor
und ſagte: „Großmutter wir koͤnnen nicht aͤndern,
was uͤber uns verhaͤngt iſt. Wohl jedem, der einen
Vater achten und lieben darf! Wer aber niemals
einen beſaß, den er ſo nennen konnte; wer aufwaͤchst,
in der Meinung, ſein Vater ſei ihm verloren und
todt, und ihn dann nur findet, um zu hoͤren: es ſei
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[75/0091] immer, wenn ich ſinge, ſaͤnge Deine Seele mit? Na, ſo laß’ ſie ſingen, die alte Seele! Mir iſt leichter und beſſer dabei, wie wenn ich’s Maul halte.“ Jch weiß nicht, wie Du mir vorkommſt, Anton? Seit geſtern faͤngſt Du an, Deinem Vater — Gott verzeih’ ihm! — aͤhnlich zu ſehen. Wie Du jetzt geſungen haſt, glaubt’ ich, er ſaͤße vor mir. „Was Dir doch einfaͤllt, Alte. Haſt Du Dich nicht heiſer geredet, mir zu beweiſen, ich waͤr’ meiner Mutter lebendiges Kontrafei, oder wie ſie’s nennen?“ Doch Anton, doch. Fruͤher warſt Du’s. Jetzt tritt auch der Vater hervor. „Das macht, weil ich Mann werde!“ Der Himmel gebe, daß es bei dieſer Aehnlich- keit ſein Bewenden haben moͤge! Anton ſchwieg einige Minuten mit niedergeſchla- genem Blicke. Dann hub er die Augen zu ihr empor und ſagte: „Großmutter wir koͤnnen nicht aͤndern, was uͤber uns verhaͤngt iſt. Wohl jedem, der einen Vater achten und lieben darf! Wer aber niemals einen beſaß, den er ſo nennen konnte; wer aufwaͤchst, in der Meinung, ſein Vater ſei ihm verloren und todt, und ihn dann nur findet, um zu hoͤren: es ſei ein ſchlechter Vater! — Der muß ſich dann auch

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Zitationshilfe: Holtei, Karl von: Die Vagabunden. Bd. 1. Breslau, 1852, S. 75. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/holtei_vagabunden01_1852/91>, abgerufen am 23.11.2024.