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Holtei, Karl von: Die Vagabunden. Bd. 1. Breslau, 1852.

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selbst halte; daß ein kleines Liedchen reimen muß,
wenn es ein Lied sein will. Für mich giebt es keine
Blume ohne Blüthen.

Antons Reime kannte nur der liebe Gott und er.
Sonst Niemand. Nicht einmal die Großmutter. Denn
wie er, vor etwas länger als einem Jahre, Ottilien
ein seiniges Sprüchlein hergestottert, hatte diese ihn
unbarmherzig ausgelacht und gemeint, die Mutter
Goksch würde wohl thun, ihm den Hagedorn mit dem
Klopfstock auszutreiben, und er möge hübsch seine
Kunden prompter bedienen, damit sie nicht so lange
auf ausgeflickte Körbe warten müßten!

Seitdem verschloß Anton, was die Muse ihm ein-
geben wollen, in tiefster Brust und vertraute Niemand
mehr eine Silbe an.

Aber seltsam bleibt es, daß seitdem auch, wenn
Tieletunke sich allein und unbelauscht meint, sie immer
und immer folgende Zeilen wiederholt:

"Jch flechte schlanke Weiden
Jn meine Körbe ein;
Jch schlinge meine Leiden
Und Freuden mit hinein;
Jch hab' ein stilles Sehnen,
Das thut mir wohl und weh';
Mein Auge schwimmt in Thränen,
Wenn ich mich flechten seh'.

ſelbſt halte; daß ein kleines Liedchen reimen muß,
wenn es ein Lied ſein will. Fuͤr mich giebt es keine
Blume ohne Bluͤthen.

Antons Reime kannte nur der liebe Gott und er.
Sonſt Niemand. Nicht einmal die Großmutter. Denn
wie er, vor etwas laͤnger als einem Jahre, Ottilien
ein ſeiniges Spruͤchlein hergeſtottert, hatte dieſe ihn
unbarmherzig ausgelacht und gemeint, die Mutter
Gokſch wuͤrde wohl thun, ihm den Hagedorn mit dem
Klopfſtock auszutreiben, und er moͤge huͤbſch ſeine
Kunden prompter bedienen, damit ſie nicht ſo lange
auf ausgeflickte Koͤrbe warten muͤßten!

Seitdem verſchloß Anton, was die Muſe ihm ein-
geben wollen, in tiefſter Bruſt und vertraute Niemand
mehr eine Silbe an.

Aber ſeltſam bleibt es, daß ſeitdem auch, wenn
Tieletunke ſich allein und unbelauſcht meint, ſie immer
und immer folgende Zeilen wiederholt:

„Jch flechte ſchlanke Weiden
Jn meine Körbe ein;
Jch ſchlinge meine Leiden
Und Freuden mit hinein;
Jch hab’ ein ſtilles Sehnen,
Das thut mir wohl und weh’;
Mein Auge ſchwimmt in Thränen,
Wenn ich mich flechten ſeh’.
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[57/0073] ſelbſt halte; daß ein kleines Liedchen reimen muß, wenn es ein Lied ſein will. Fuͤr mich giebt es keine Blume ohne Bluͤthen. Antons Reime kannte nur der liebe Gott und er. Sonſt Niemand. Nicht einmal die Großmutter. Denn wie er, vor etwas laͤnger als einem Jahre, Ottilien ein ſeiniges Spruͤchlein hergeſtottert, hatte dieſe ihn unbarmherzig ausgelacht und gemeint, die Mutter Gokſch wuͤrde wohl thun, ihm den Hagedorn mit dem Klopfſtock auszutreiben, und er moͤge huͤbſch ſeine Kunden prompter bedienen, damit ſie nicht ſo lange auf ausgeflickte Koͤrbe warten muͤßten! Seitdem verſchloß Anton, was die Muſe ihm ein- geben wollen, in tiefſter Bruſt und vertraute Niemand mehr eine Silbe an. Aber ſeltſam bleibt es, daß ſeitdem auch, wenn Tieletunke ſich allein und unbelauſcht meint, ſie immer und immer folgende Zeilen wiederholt: „Jch flechte ſchlanke Weiden Jn meine Körbe ein; Jch ſchlinge meine Leiden Und Freuden mit hinein; Jch hab’ ein ſtilles Sehnen, Das thut mir wohl und weh’; Mein Auge ſchwimmt in Thränen, Wenn ich mich flechten ſeh’.

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Zitationshilfe: Holtei, Karl von: Die Vagabunden. Bd. 1. Breslau, 1852, S. 57. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/holtei_vagabunden01_1852/73>, abgerufen am 22.11.2024.