Und sie hießen ihn Onkel "Kannenpichler." Jn seiner Art war das nicht übel, jedoch zu komplizirt, um in's Volk überzugehen. Onkel Nasus war an- schaulicher, einfacher, wurde deshalb allgemein beliebt und schlich sich endlich bis in's Schloß, wo es dann durch Diener und Mägde bis zur sogenannten Kam- merjungfer und durch solche wieder bis zu den "Schloßfräulen" selbst gelangte, welche naiv genug waren, es auch zu acceptiren und in guter Laune ihren oft in sehr übler Laune polternden, ungnädigen Papa "Onkel Nasus" zu schelten, obschon dieser kei- nes Menschen Onkel oder Oheim war, denn er hatte niemals Bruder noch Schwester besessen: er war ein einziges Kind.
"Onkel Nasus ist heute wieder mit dem linken Fuße zuerst aus dem Bette gestiegen! -- Onkel Na- sus hat heute wieder einmal zu tief in's Glas geguckt! -- Mit Onkel Nasus ist seit acht Tagen nichts anzu- fangen!" -- Das waren Aeußerungen, die nicht sel- ten in den jungfräulichen Gemächern der drei Schwe- stern von Kannabich beim Aus- und Ankleiden vernommen wurden. Wenn auch "Linz" als älteste mancherlei dagegen einzuwenden wußte, sie wurde überstimmt, da "Miez", die zweite, in dieser Sache
Und ſie hießen ihn Onkel „Kannenpichler.“ Jn ſeiner Art war das nicht uͤbel, jedoch zu komplizirt, um in’s Volk uͤberzugehen. Onkel Naſus war an- ſchaulicher, einfacher, wurde deshalb allgemein beliebt und ſchlich ſich endlich bis in’s Schloß, wo es dann durch Diener und Maͤgde bis zur ſogenannten Kam- merjungfer und durch ſolche wieder bis zu den „Schloßfraͤulen“ ſelbſt gelangte, welche naiv genug waren, es auch zu acceptiren und in guter Laune ihren oft in ſehr uͤbler Laune polternden, ungnaͤdigen Papa „Onkel Naſus“ zu ſchelten, obſchon dieſer kei- nes Menſchen Onkel oder Oheim war, denn er hatte niemals Bruder noch Schweſter beſeſſen: er war ein einziges Kind.
„Onkel Naſus iſt heute wieder mit dem linken Fuße zuerſt aus dem Bette geſtiegen! — Onkel Na- ſus hat heute wieder einmal zu tief in’s Glas geguckt! — Mit Onkel Naſus iſt ſeit acht Tagen nichts anzu- fangen!“ — Das waren Aeußerungen, die nicht ſel- ten in den jungfraͤulichen Gemaͤchern der drei Schwe- ſtern von Kannabich beim Aus- und Ankleiden vernommen wurden. Wenn auch „Linz“ als aͤlteſte mancherlei dagegen einzuwenden wußte, ſie wurde uͤberſtimmt, da „Miez“, die zweite, in dieſer Sache
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Und ſie hießen ihn Onkel „Kannenpichler.“ Jn
ſeiner Art war das nicht uͤbel, jedoch zu komplizirt,
um in’s Volk uͤberzugehen. Onkel Naſus war an-
ſchaulicher, einfacher, wurde deshalb allgemein beliebt
und ſchlich ſich endlich bis in’s Schloß, wo es dann
durch Diener und Maͤgde bis zur ſogenannten Kam-
merjungfer und durch ſolche wieder bis zu den
„Schloßfraͤulen“ ſelbſt gelangte, welche naiv genug
waren, es auch zu acceptiren und in guter Laune
ihren oft in ſehr uͤbler Laune polternden, ungnaͤdigen
Papa „Onkel Naſus“ zu ſchelten, obſchon dieſer kei-
nes Menſchen Onkel oder Oheim war, denn er hatte
niemals Bruder noch Schweſter beſeſſen: er war ein
einziges Kind.
„Onkel Naſus iſt heute wieder mit dem linken
Fuße zuerſt aus dem Bette geſtiegen! — Onkel Na-
ſus hat heute wieder einmal zu tief in’s Glas geguckt!
— Mit Onkel Naſus iſt ſeit acht Tagen nichts anzu-
fangen!“ — Das waren Aeußerungen, die nicht ſel-
ten in den jungfraͤulichen Gemaͤchern der drei Schwe-
ſtern von Kannabich beim Aus- und Ankleiden
vernommen wurden. Wenn auch „Linz“ als aͤlteſte
mancherlei dagegen einzuwenden wußte, ſie wurde
uͤberſtimmt, da „Miez“, die zweite, in dieſer Sache
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Holtei, Karl von: Die Vagabunden. Bd. 1. Breslau, 1852, S. 45. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/holtei_vagabunden01_1852/61>, abgerufen am 24.11.2024.
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