eigenen Noth gerissen. Das war mit Händen zu greifen: Deine Mutter wollte sie zu einem Geständ- niß zwingen; deßhalb der nächtliche Besuch. Aber warum kehrte sie nicht zurück? Das blieb mir ein Räthsel. Hielt das schlechte Volk sie vielleicht mit Gewalt? Hatte man sie vielleicht eingesperrt, um sie durch Drohungen zum Schweigen zu bewegen?
Es litt mich nicht. Deinem Großvater schärft' ich ein, auf Dich Acht zu haben, und in des Heilands Namen begab ich mich auf den Weg, trotz Wind und Wetter. Jch mußte durch's Städtchen gehen, um aus unserer Vorstadt nach der Brücke zu kommen. Auf dem Wege fand ich Alles in Allarm. Weiber standen vor den Thüren und erzählten sich mit jam- mervollen Geberden, Männer, Jungen rannten mit langen Stangen, mit Haken, mit Aexten bewaffnet durch die Gassen. Auf meine ängstlichen Fragen, was es doch gäbe, vernahm ich nur einen Ruf: Das Wasser! Das Wasser!
Und als ich nun die Brücke erreichte, -- bis oben hinauf, schier bis an die hohe Wölbung drängte sich die Fluth, so gelb, so trübe, wie ich sie im Traume gesehen. Unten war Alles ein Meer. So schnell war es über Nacht gewachsen, daß die Bewohner der
eigenen Noth geriſſen. Das war mit Haͤnden zu greifen: Deine Mutter wollte ſie zu einem Geſtaͤnd- niß zwingen; deßhalb der naͤchtliche Beſuch. Aber warum kehrte ſie nicht zuruͤck? Das blieb mir ein Raͤthſel. Hielt das ſchlechte Volk ſie vielleicht mit Gewalt? Hatte man ſie vielleicht eingeſperrt, um ſie durch Drohungen zum Schweigen zu bewegen?
Es litt mich nicht. Deinem Großvater ſchaͤrft’ ich ein, auf Dich Acht zu haben, und in des Heilands Namen begab ich mich auf den Weg, trotz Wind und Wetter. Jch mußte durch’s Staͤdtchen gehen, um aus unſerer Vorſtadt nach der Bruͤcke zu kommen. Auf dem Wege fand ich Alles in Allarm. Weiber ſtanden vor den Thuͤren und erzaͤhlten ſich mit jam- mervollen Geberden, Maͤnner, Jungen rannten mit langen Stangen, mit Haken, mit Aexten bewaffnet durch die Gaſſen. Auf meine aͤngſtlichen Fragen, was es doch gaͤbe, vernahm ich nur einen Ruf: Das Waſſer! Das Waſſer!
Und als ich nun die Bruͤcke erreichte, — bis oben hinauf, ſchier bis an die hohe Woͤlbung draͤngte ſich die Fluth, ſo gelb, ſo truͤbe, wie ich ſie im Traume geſehen. Unten war Alles ein Meer. So ſchnell war es uͤber Nacht gewachſen, daß die Bewohner der
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eigenen Noth geriſſen. Das war mit Haͤnden zu
greifen: Deine Mutter wollte ſie zu einem Geſtaͤnd-
niß zwingen; deßhalb der naͤchtliche Beſuch. Aber
warum kehrte ſie nicht zuruͤck? Das blieb mir ein
Raͤthſel. Hielt das ſchlechte Volk ſie vielleicht mit
Gewalt? Hatte man ſie vielleicht eingeſperrt, um ſie
durch Drohungen zum Schweigen zu bewegen?
Es litt mich nicht. Deinem Großvater ſchaͤrft’
ich ein, auf Dich Acht zu haben, und in des Heilands
Namen begab ich mich auf den Weg, trotz Wind und
Wetter. Jch mußte durch’s Staͤdtchen gehen, um
aus unſerer Vorſtadt nach der Bruͤcke zu kommen.
Auf dem Wege fand ich Alles in Allarm. Weiber
ſtanden vor den Thuͤren und erzaͤhlten ſich mit jam-
mervollen Geberden, Maͤnner, Jungen rannten mit
langen Stangen, mit Haken, mit Aexten bewaffnet
durch die Gaſſen. Auf meine aͤngſtlichen Fragen,
was es doch gaͤbe, vernahm ich nur einen Ruf: Das
Waſſer! Das Waſſer!
Und als ich nun die Bruͤcke erreichte, — bis oben
hinauf, ſchier bis an die hohe Woͤlbung draͤngte ſich
die Fluth, ſo gelb, ſo truͤbe, wie ich ſie im Traume
geſehen. Unten war Alles ein Meer. So ſchnell war
es uͤber Nacht gewachſen, daß die Bewohner der
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Holtei, Karl von: Die Vagabunden. Bd. 1. Breslau, 1852, S. 27. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/holtei_vagabunden01_1852/43>, abgerufen am 21.11.2024.
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