Deine Mutter ihr Wesen mit Dir. Ach, wie sie sang; wie sie Dich in ihren Armen wiegte. Mit schöneren Liedern ist kein Kaisersohn in Schlaf gesungen worden. Und der Großvater fand eben so viel Freude daran, wie der kleine hilflose Enkel. Jhr Beide habt gelä- chelt, wenn ihr Nettens Stimme vernahmt. Jhr habt gelächelt, Anton; ich hab' geweint: Denn die Stimme war ja doch unser Unglück; sie hatte uns doch eigentlich in's Unglück gebracht.
Deines Herrn Vaters Briefe wurden immer rarer und wenn etwa wieder einmal einer geschlichen kam, war der letzte gewöhnlich um etliche Wörter kürzer, als der vorletzte. Nette schwieg. Der Alte fragte nach nichts. Jch weinte. Ein ganzes Jahr hab' ich verweint, daneben fleißig meinen Garnhandel betrie- ben und davon haben wir gelebt; davon und von den paar Kreuzern, die der Alte mit Notenschreiben erwarb.
Am nächsten Weihnachtsabend konntest Du schon laufen, Anton; langtest schon mit kräftigen Händchen nach den Kerzen am Weihnachtsbaum. Dein Vater ließ nichts weiter von sich hören. Antonie schrieb wohl einigemal; sie bekam keine Antwort mehr. Sie verging so langsam in dem Maße, wie Du zunahmst. Du warst ein starkes, blühendes Kind.
Deine Mutter ihr Weſen mit Dir. Ach, wie ſie ſang; wie ſie Dich in ihren Armen wiegte. Mit ſchoͤneren Liedern iſt kein Kaiſerſohn in Schlaf geſungen worden. Und der Großvater fand eben ſo viel Freude daran, wie der kleine hilfloſe Enkel. Jhr Beide habt gelaͤ- chelt, wenn ihr Nettens Stimme vernahmt. Jhr habt gelaͤchelt, Anton; ich hab’ geweint: Denn die Stimme war ja doch unſer Ungluͤck; ſie hatte uns doch eigentlich in’s Ungluͤck gebracht.
Deines Herrn Vaters Briefe wurden immer rarer und wenn etwa wieder einmal einer geſchlichen kam, war der letzte gewoͤhnlich um etliche Woͤrter kuͤrzer, als der vorletzte. Nette ſchwieg. Der Alte fragte nach nichts. Jch weinte. Ein ganzes Jahr hab’ ich verweint, daneben fleißig meinen Garnhandel betrie- ben und davon haben wir gelebt; davon und von den paar Kreuzern, die der Alte mit Notenſchreiben erwarb.
Am naͤchſten Weihnachtsabend konnteſt Du ſchon laufen, Anton; langteſt ſchon mit kraͤftigen Haͤndchen nach den Kerzen am Weihnachtsbaum. Dein Vater ließ nichts weiter von ſich hoͤren. Antonie ſchrieb wohl einigemal; ſie bekam keine Antwort mehr. Sie verging ſo langſam in dem Maße, wie Du zunahmſt. Du warſt ein ſtarkes, bluͤhendes Kind.
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Deine Mutter ihr Weſen mit Dir. Ach, wie ſie ſang;
wie ſie Dich in ihren Armen wiegte. Mit ſchoͤneren
Liedern iſt kein Kaiſerſohn in Schlaf geſungen worden.
Und der Großvater fand eben ſo viel Freude daran,
wie der kleine hilfloſe Enkel. Jhr Beide habt gelaͤ-
chelt, wenn ihr Nettens Stimme vernahmt. Jhr
habt gelaͤchelt, Anton; ich hab’ geweint: Denn die
Stimme war ja doch unſer Ungluͤck; ſie hatte uns
doch eigentlich in’s Ungluͤck gebracht.
Deines Herrn Vaters Briefe wurden immer rarer
und wenn etwa wieder einmal einer geſchlichen kam,
war der letzte gewoͤhnlich um etliche Woͤrter kuͤrzer,
als der vorletzte. Nette ſchwieg. Der Alte fragte
nach nichts. Jch weinte. Ein ganzes Jahr hab’ ich
verweint, daneben fleißig meinen Garnhandel betrie-
ben und davon haben wir gelebt; davon und von den
paar Kreuzern, die der Alte mit Notenſchreiben erwarb.
Am naͤchſten Weihnachtsabend konnteſt Du ſchon
laufen, Anton; langteſt ſchon mit kraͤftigen Haͤndchen
nach den Kerzen am Weihnachtsbaum. Dein Vater
ließ nichts weiter von ſich hoͤren. Antonie ſchrieb
wohl einigemal; ſie bekam keine Antwort mehr. Sie
verging ſo langſam in dem Maße, wie Du zunahmſt.
Du warſt ein ſtarkes, bluͤhendes Kind.
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Holtei, Karl von: Die Vagabunden. Bd. 1. Breslau, 1852, S. 23. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/holtei_vagabunden01_1852/39>, abgerufen am 28.11.2024.
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