Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Holtei, Karl von: Die Vagabunden. Bd. 1. Breslau, 1852.

Bild:
<< vorherige Seite

Wir hörten, wir lasen, wir standen da verdutzt
und stumm. Jch war ja von jeher eine dumme uner-
fahrene Person, und Dein Großvater, die beste Seele
von einem Manne, wußte nichts von falschen Men-
schen. Ja, wenn's falsche Noten gewesen wären!
Kurzum, aus dem Jammer wurde ein Freudenfest:
Wir weinten, wir versöhnten uns, wir umarmten die
Braut mit feurigen Glückwünschen und gelobten uns,
gegenseitig zu schweigen über die Sache und zu harren,
bis es an der Zeit sei, unser Schweigen zu brechen
und die Nettel Frau Gräfin zu nennen.

Aber Du kannst mir's glauben, Anton, trotz
meiner Dummheit war ich, bei allem Jubel, klug
genug, einzusehen, daß Deine Mutter sich nur glück-
lich stellte; daß sie versuchte, sich selbst zu täuschen,
weil sie uns täuschen wollte. Sie glaubte nicht an
ihre Zukunft. Mein Mann war von uns Dreien der
Einzige, dem es rechter Ernst war mit seiner Hoff-
nung. Sonst gingen die Tage trüb und traurig hin,
wie der finstre Spätherbst, in dem wir lebten. Nette
sang wenig mehr. Sie sagte, es fiele ihr so schwer.
Nur wenn ein Brieflein vom Herzallerliebsten eintraf,
athmete sie freier auf. Dann sang sie beim Vater
unten und der schwur darauf: prächtiger, voller hätt'

2*

Wir hoͤrten, wir laſen, wir ſtanden da verdutzt
und ſtumm. Jch war ja von jeher eine dumme uner-
fahrene Perſon, und Dein Großvater, die beſte Seele
von einem Manne, wußte nichts von falſchen Men-
ſchen. Ja, wenn’s falſche Noten geweſen waͤren!
Kurzum, aus dem Jammer wurde ein Freudenfeſt:
Wir weinten, wir verſoͤhnten uns, wir umarmten die
Braut mit feurigen Gluͤckwuͤnſchen und gelobten uns,
gegenſeitig zu ſchweigen uͤber die Sache und zu harren,
bis es an der Zeit ſei, unſer Schweigen zu brechen
und die Nettel Frau Graͤfin zu nennen.

Aber Du kannſt mir’s glauben, Anton, trotz
meiner Dummheit war ich, bei allem Jubel, klug
genug, einzuſehen, daß Deine Mutter ſich nur gluͤck-
lich ſtellte; daß ſie verſuchte, ſich ſelbſt zu taͤuſchen,
weil ſie uns taͤuſchen wollte. Sie glaubte nicht an
ihre Zukunft. Mein Mann war von uns Dreien der
Einzige, dem es rechter Ernſt war mit ſeiner Hoff-
nung. Sonſt gingen die Tage truͤb und traurig hin,
wie der finſtre Spaͤtherbſt, in dem wir lebten. Nette
ſang wenig mehr. Sie ſagte, es fiele ihr ſo ſchwer.
Nur wenn ein Brieflein vom Herzallerliebſten eintraf,
athmete ſie freier auf. Dann ſang ſie beim Vater
unten und der ſchwur darauf: praͤchtiger, voller haͤtt’

2*
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <pb facs="#f0035" n="19"/>
        <p>Wir ho&#x0364;rten, wir la&#x017F;en, wir &#x017F;tanden da verdutzt<lb/>
und &#x017F;tumm. Jch war ja von jeher eine dumme uner-<lb/>
fahrene Per&#x017F;on, und Dein Großvater, die be&#x017F;te Seele<lb/>
von einem Manne, wußte nichts von fal&#x017F;chen Men-<lb/>
&#x017F;chen. Ja, wenn&#x2019;s fal&#x017F;che Noten gewe&#x017F;en wa&#x0364;ren!<lb/>
Kurzum, aus dem Jammer wurde ein Freudenfe&#x017F;t:<lb/>
Wir weinten, wir ver&#x017F;o&#x0364;hnten uns, wir umarmten die<lb/>
Braut mit feurigen Glu&#x0364;ckwu&#x0364;n&#x017F;chen und gelobten uns,<lb/>
gegen&#x017F;eitig zu &#x017F;chweigen u&#x0364;ber die Sache und zu harren,<lb/>
bis es an der Zeit &#x017F;ei, un&#x017F;er Schweigen zu brechen<lb/>
und die Nettel Frau Gra&#x0364;fin zu nennen.</p><lb/>
        <p>Aber Du kann&#x017F;t mir&#x2019;s glauben, Anton, trotz<lb/>
meiner Dummheit war ich, bei allem Jubel, klug<lb/>
genug, einzu&#x017F;ehen, daß Deine Mutter &#x017F;ich nur glu&#x0364;ck-<lb/>
lich &#x017F;tellte; daß &#x017F;ie ver&#x017F;uchte, &#x017F;ich &#x017F;elb&#x017F;t zu ta&#x0364;u&#x017F;chen,<lb/>
weil &#x017F;ie uns ta&#x0364;u&#x017F;chen wollte. Sie glaubte nicht an<lb/>
ihre Zukunft. Mein Mann war von uns Dreien der<lb/>
Einzige, dem es rechter Ern&#x017F;t war mit &#x017F;einer Hoff-<lb/>
nung. Son&#x017F;t gingen die Tage tru&#x0364;b und traurig hin,<lb/>
wie der fin&#x017F;tre Spa&#x0364;therb&#x017F;t, in dem wir lebten. Nette<lb/>
&#x017F;ang wenig mehr. Sie &#x017F;agte, es fiele ihr &#x017F;o &#x017F;chwer.<lb/>
Nur wenn ein Brieflein vom Herzallerlieb&#x017F;ten eintraf,<lb/>
athmete &#x017F;ie freier auf. Dann &#x017F;ang &#x017F;ie beim Vater<lb/>
unten und der &#x017F;chwur darauf: pra&#x0364;chtiger, voller ha&#x0364;tt&#x2019;<lb/>
<fw place="bottom" type="sig">2*</fw><lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[19/0035] Wir hoͤrten, wir laſen, wir ſtanden da verdutzt und ſtumm. Jch war ja von jeher eine dumme uner- fahrene Perſon, und Dein Großvater, die beſte Seele von einem Manne, wußte nichts von falſchen Men- ſchen. Ja, wenn’s falſche Noten geweſen waͤren! Kurzum, aus dem Jammer wurde ein Freudenfeſt: Wir weinten, wir verſoͤhnten uns, wir umarmten die Braut mit feurigen Gluͤckwuͤnſchen und gelobten uns, gegenſeitig zu ſchweigen uͤber die Sache und zu harren, bis es an der Zeit ſei, unſer Schweigen zu brechen und die Nettel Frau Graͤfin zu nennen. Aber Du kannſt mir’s glauben, Anton, trotz meiner Dummheit war ich, bei allem Jubel, klug genug, einzuſehen, daß Deine Mutter ſich nur gluͤck- lich ſtellte; daß ſie verſuchte, ſich ſelbſt zu taͤuſchen, weil ſie uns taͤuſchen wollte. Sie glaubte nicht an ihre Zukunft. Mein Mann war von uns Dreien der Einzige, dem es rechter Ernſt war mit ſeiner Hoff- nung. Sonſt gingen die Tage truͤb und traurig hin, wie der finſtre Spaͤtherbſt, in dem wir lebten. Nette ſang wenig mehr. Sie ſagte, es fiele ihr ſo ſchwer. Nur wenn ein Brieflein vom Herzallerliebſten eintraf, athmete ſie freier auf. Dann ſang ſie beim Vater unten und der ſchwur darauf: praͤchtiger, voller haͤtt’ 2*

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/holtei_vagabunden01_1852
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/holtei_vagabunden01_1852/35
Zitationshilfe: Holtei, Karl von: Die Vagabunden. Bd. 1. Breslau, 1852, S. 19. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/holtei_vagabunden01_1852/35>, abgerufen am 22.11.2024.