umarmte und feurig küßte, rief sie durch die eisernen Stangen hinein: Du bist Zeuge, König der Thiere, daß ich mich ihm gebe! Du magst mich rächen, wenn er undankbar ist!
Der Löwe begriff denn Sinn dieser Herausfor- derung nicht. Sein bei Nacht sehendes Auge erblickte nur die Umarmung, die ihn noch zorniger machte. Er fing zu rasen an, daß er das Gitter beinahe sprengte. Bald stimmten sämmtliche Thiere ein; auch die sonst friedlichen, jetzt aus ihrer Ruhe auf- geschrieen. Es war ein Höllenlärm! Und dieser schauerliche Chor bildete den Weihgesang beglückter Liebe. Denn wie nur Anton erst zur Besinnung gelangte; wie er nur erst zu fassen vermochte, daß er so heiß geliebt sei, da schwanden Rücksichten, Unter- würfigkeit, Zweifel und Zagen. Da fand auch er die rechten Worte, ihr kund zu geben, was er so lange verschwiegen.
Der helle Tag erst verscheuchte das zärtliche Paar. Laura stahl sich nach ihrer Wohnung und Anton folgte, nachdem er durch Pierre und Jean abgelöset worden.
umarmte und feurig kuͤßte, rief ſie durch die eiſernen Stangen hinein: Du biſt Zeuge, Koͤnig der Thiere, daß ich mich ihm gebe! Du magſt mich raͤchen, wenn er undankbar iſt!
Der Loͤwe begriff denn Sinn dieſer Herausfor- derung nicht. Sein bei Nacht ſehendes Auge erblickte nur die Umarmung, die ihn noch zorniger machte. Er fing zu raſen an, daß er das Gitter beinahe ſprengte. Bald ſtimmten ſaͤmmtliche Thiere ein; auch die ſonſt friedlichen, jetzt aus ihrer Ruhe auf- geſchrieen. Es war ein Hoͤllenlaͤrm! Und dieſer ſchauerliche Chor bildete den Weihgeſang begluͤckter Liebe. Denn wie nur Anton erſt zur Beſinnung gelangte; wie er nur erſt zu faſſen vermochte, daß er ſo heiß geliebt ſei, da ſchwanden Ruͤckſichten, Unter- wuͤrfigkeit, Zweifel und Zagen. Da fand auch er die rechten Worte, ihr kund zu geben, was er ſo lange verſchwiegen.
Der helle Tag erſt verſcheuchte das zaͤrtliche Paar. Laura ſtahl ſich nach ihrer Wohnung und Anton folgte, nachdem er durch Pierre und Jean abgeloͤſet worden.
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umarmte und feurig kuͤßte, rief ſie durch die eiſernen
Stangen hinein: Du biſt Zeuge, Koͤnig der Thiere,
daß ich mich ihm gebe! Du magſt mich raͤchen, wenn
er undankbar iſt!
Der Loͤwe begriff denn Sinn dieſer Herausfor-
derung nicht. Sein bei Nacht ſehendes Auge erblickte
nur die Umarmung, die ihn noch zorniger machte.
Er fing zu raſen an, daß er das Gitter beinahe
ſprengte. Bald ſtimmten ſaͤmmtliche Thiere ein;
auch die ſonſt friedlichen, jetzt aus ihrer Ruhe auf-
geſchrieen. Es war ein Hoͤllenlaͤrm! Und dieſer
ſchauerliche Chor bildete den Weihgeſang begluͤckter
Liebe. Denn wie nur Anton erſt zur Beſinnung
gelangte; wie er nur erſt zu faſſen vermochte, daß er
ſo heiß geliebt ſei, da ſchwanden Ruͤckſichten, Unter-
wuͤrfigkeit, Zweifel und Zagen. Da fand auch er
die rechten Worte, ihr kund zu geben, was er ſo lange
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Der helle Tag erſt verſcheuchte das zaͤrtliche
Paar. Laura ſtahl ſich nach ihrer Wohnung und
Anton folgte, nachdem er durch Pierre und Jean
abgeloͤſet worden.
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Holtei, Karl von: Die Vagabunden. Bd. 1. Breslau, 1852, S. 309. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/holtei_vagabunden01_1852/325>, abgerufen am 24.11.2024.
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