gekauft; -- nicht eine so kostbare, wie Carino ihm in der Wildenweinlaube dargereicht; aber doch um Vie- les besser, als jene, von der Ottilie damals die Saiten abschnitt und die Anton bei der "Gockschischen Masse" zurückließ. Auf dieser Geige spielte er, wenn er seine einsamen Abendstunden feierte, in Erinnerungen voll Wehmuth uud Heimweh versenkt, die alten Liebe- nauer Melodieen, und zwar, wie ich ausdrücklich erwähne, zur vollen Befriedigung des hohen versam- melten Publikums. Sogar Seine Majestät der Löwe geruhten durch unterdrücktes Brummen Theilnahme kund zu geben. Alle lauschten; keines heulte. Es wurde weniger geplaudert und fanden minder Stö- rungen statt, als bei vielen musikalischen Theezirkeln, wo man die Virtuosen quält, bis sie spielen, und wo man nicht auf sie hört, wenn sie es thun. Anton's Hörerkreis war ganz Ohr.
Es wiederfuhr dem Liebenauer Orpheus biswei- len, daß er mit seinen weichsten Tönen und seinen kindlichsten Erinnerungen -- einschlief. Dann schob er sich zurück auf den Sitz, den er sich am Ende der langen Bude von wollenen Decken kunstreich gebaut; die Geige entsank den Händen; er schlummerte, bis Roth- und Schwarzbart, aus dem Gasthause zurück-
gekauft; — nicht eine ſo koſtbare, wie Carino ihm in der Wildenweinlaube dargereicht; aber doch um Vie- les beſſer, als jene, von der Ottilie damals die Saiten abſchnitt und die Anton bei der „Gockſchiſchen Maſſe“ zuruͤckließ. Auf dieſer Geige ſpielte er, wenn er ſeine einſamen Abendſtunden feierte, in Erinnerungen voll Wehmuth uud Heimweh verſenkt, die alten Liebe- nauer Melodieen, und zwar, wie ich ausdruͤcklich erwaͤhne, zur vollen Befriedigung des hohen verſam- melten Publikums. Sogar Seine Majeſtaͤt der Loͤwe geruhten durch unterdruͤcktes Brummen Theilnahme kund zu geben. Alle lauſchten; keines heulte. Es wurde weniger geplaudert und fanden minder Stoͤ- rungen ſtatt, als bei vielen muſikaliſchen Theezirkeln, wo man die Virtuoſen quaͤlt, bis ſie ſpielen, und wo man nicht auf ſie hoͤrt, wenn ſie es thun. Anton’s Hoͤrerkreis war ganz Ohr.
Es wiederfuhr dem Liebenauer Orpheus biswei- len, daß er mit ſeinen weichſten Toͤnen und ſeinen kindlichſten Erinnerungen — einſchlief. Dann ſchob er ſich zuruͤck auf den Sitz, den er ſich am Ende der langen Bude von wollenen Decken kunſtreich gebaut; die Geige entſank den Haͤnden; er ſchlummerte, bis Roth- und Schwarzbart, aus dem Gaſthauſe zuruͤck-
<TEI><text><body><divn="1"><p><pbfacs="#f0276"n="260"/>
gekauft; — nicht eine ſo koſtbare, wie Carino ihm in<lb/>
der Wildenweinlaube dargereicht; aber doch um Vie-<lb/>
les beſſer, als jene, von der Ottilie damals die Saiten<lb/>
abſchnitt und die Anton bei der „Gockſchiſchen Maſſe“<lb/>
zuruͤckließ. Auf dieſer Geige ſpielte er, wenn er ſeine<lb/>
einſamen Abendſtunden feierte, in Erinnerungen voll<lb/>
Wehmuth uud Heimweh verſenkt, die alten Liebe-<lb/>
nauer Melodieen, und zwar, wie ich ausdruͤcklich<lb/>
erwaͤhne, zur vollen Befriedigung des hohen verſam-<lb/>
melten Publikums. Sogar Seine Majeſtaͤt der Loͤwe<lb/>
geruhten durch unterdruͤcktes Brummen Theilnahme<lb/>
kund zu geben. Alle lauſchten; keines heulte. Es<lb/>
wurde weniger geplaudert und fanden minder Stoͤ-<lb/>
rungen ſtatt, als bei vielen muſikaliſchen Theezirkeln,<lb/>
wo man die Virtuoſen quaͤlt, bis ſie ſpielen, und wo<lb/>
man nicht auf ſie hoͤrt, wenn ſie es thun. Anton’s<lb/>
Hoͤrerkreis war ganz Ohr.</p><lb/><p>Es wiederfuhr dem Liebenauer Orpheus biswei-<lb/>
len, daß er mit ſeinen weichſten Toͤnen und ſeinen<lb/>
kindlichſten Erinnerungen — einſchlief. Dann ſchob<lb/>
er ſich zuruͤck auf den Sitz, den er ſich am Ende der<lb/>
langen Bude von wollenen Decken kunſtreich gebaut;<lb/>
die Geige entſank den Haͤnden; er ſchlummerte, bis<lb/>
Roth- und Schwarzbart, aus dem Gaſthauſe zuruͤck-<lb/></p></div></body></text></TEI>
[260/0276]
gekauft; — nicht eine ſo koſtbare, wie Carino ihm in
der Wildenweinlaube dargereicht; aber doch um Vie-
les beſſer, als jene, von der Ottilie damals die Saiten
abſchnitt und die Anton bei der „Gockſchiſchen Maſſe“
zuruͤckließ. Auf dieſer Geige ſpielte er, wenn er ſeine
einſamen Abendſtunden feierte, in Erinnerungen voll
Wehmuth uud Heimweh verſenkt, die alten Liebe-
nauer Melodieen, und zwar, wie ich ausdruͤcklich
erwaͤhne, zur vollen Befriedigung des hohen verſam-
melten Publikums. Sogar Seine Majeſtaͤt der Loͤwe
geruhten durch unterdruͤcktes Brummen Theilnahme
kund zu geben. Alle lauſchten; keines heulte. Es
wurde weniger geplaudert und fanden minder Stoͤ-
rungen ſtatt, als bei vielen muſikaliſchen Theezirkeln,
wo man die Virtuoſen quaͤlt, bis ſie ſpielen, und wo
man nicht auf ſie hoͤrt, wenn ſie es thun. Anton’s
Hoͤrerkreis war ganz Ohr.
Es wiederfuhr dem Liebenauer Orpheus biswei-
len, daß er mit ſeinen weichſten Toͤnen und ſeinen
kindlichſten Erinnerungen — einſchlief. Dann ſchob
er ſich zuruͤck auf den Sitz, den er ſich am Ende der
langen Bude von wollenen Decken kunſtreich gebaut;
die Geige entſank den Haͤnden; er ſchlummerte, bis
Roth- und Schwarzbart, aus dem Gaſthauſe zuruͤck-
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Holtei, Karl von: Die Vagabunden. Bd. 1. Breslau, 1852, S. 260. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/holtei_vagabunden01_1852/276>, abgerufen am 24.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.