Dorfgasse einschlagen .... da fiel ihm der Kirchhof ein: das Grab der Großmutter!
Auf dem Hügel, den er wenige Tage zuvor mit einem Kreuze geziert, nahm er Abschied von ihr, mehr in Thränen, als in Gedanken. Nein, er dachte nicht, er fühlte nur: "Wenn sie von mir weiß, wenn sie jetzt um mich ist, wird sie mir verzeihen; ich kann nicht anders; sie muß es selbst einsehen. -- Nun, auf die Landstraße!!"
Neunzehntes Kapitel.
Das neue Leben beginnt. Und wie Anton einen andern Vormund bekommt.
Aller Anfang ist schwer; auch der Anfang eines neuen Lebens. Hauptsächlich bei Nacht, im Novem- ber, wo Einer mit einem schweren Pack auf dem Rücken durch die Liebenauer und angrenzende Forsten wandern, und hinter sich zurück lassen soll, was ihm bisher das Leben dünkte, was er aber jetzt für todt, für abgestorben betrachten will. Anton konnte sich's nicht ableugnen, daß mit jedem Tritte den er weiter that, seine Bangigkeit zunahm. Von dem Lebens- muthe, dem Unternehmungsgeiste, dem beseligenden Leichtsinn, wie er beim Sonnenschein des Mittags oben auf dem Eichberge in sich gefühlt, war jetzt um
Dorfgaſſe einſchlagen .... da fiel ihm der Kirchhof ein: das Grab der Großmutter!
Auf dem Huͤgel, den er wenige Tage zuvor mit einem Kreuze geziert, nahm er Abſchied von ihr, mehr in Thraͤnen, als in Gedanken. Nein, er dachte nicht, er fuͤhlte nur: „Wenn ſie von mir weiß, wenn ſie jetzt um mich iſt, wird ſie mir verzeihen; ich kann nicht anders; ſie muß es ſelbſt einſehen. — Nun, auf die Landſtraße!!“
Neunzehntes Kapitel.
Das neue Leben beginnt. Und wie Anton einen andern Vormund bekommt.
Aller Anfang iſt ſchwer; auch der Anfang eines neuen Lebens. Hauptſaͤchlich bei Nacht, im Novem- ber, wo Einer mit einem ſchweren Pack auf dem Ruͤcken durch die Liebenauer und angrenzende Forſten wandern, und hinter ſich zuruͤck laſſen ſoll, was ihm bisher das Leben duͤnkte, was er aber jetzt fuͤr todt, fuͤr abgeſtorben betrachten will. Anton konnte ſich’s nicht ableugnen, daß mit jedem Tritte den er weiter that, ſeine Bangigkeit zunahm. Von dem Lebens- muthe, dem Unternehmungsgeiſte, dem beſeligenden Leichtſinn, wie er beim Sonnenſchein des Mittags oben auf dem Eichberge in ſich gefuͤhlt, war jetzt um
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Dorfgaſſe einſchlagen .... da fiel ihm der Kirchhof
ein: das Grab der Großmutter!
Auf dem Huͤgel, den er wenige Tage zuvor mit
einem Kreuze geziert, nahm er Abſchied von ihr,
mehr in Thraͤnen, als in Gedanken. Nein, er dachte
nicht, er fuͤhlte nur: „Wenn ſie von mir weiß, wenn
ſie jetzt um mich iſt, wird ſie mir verzeihen; ich kann
nicht anders; ſie muß es ſelbſt einſehen. — Nun, auf
die Landſtraße!!“
Neunzehntes Kapitel.
Das neue Leben beginnt. Und wie Anton einen andern Vormund bekommt.
Aller Anfang iſt ſchwer; auch der Anfang eines
neuen Lebens. Hauptſaͤchlich bei Nacht, im Novem-
ber, wo Einer mit einem ſchweren Pack auf dem
Ruͤcken durch die Liebenauer und angrenzende Forſten
wandern, und hinter ſich zuruͤck laſſen ſoll, was ihm
bisher das Leben duͤnkte, was er aber jetzt fuͤr todt,
fuͤr abgeſtorben betrachten will. Anton konnte ſich’s
nicht ableugnen, daß mit jedem Tritte den er weiter
that, ſeine Bangigkeit zunahm. Von dem Lebens-
muthe, dem Unternehmungsgeiſte, dem beſeligenden
Leichtſinn, wie er beim Sonnenſchein des Mittags
oben auf dem Eichberge in ſich gefuͤhlt, war jetzt um
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Holtei, Karl von: Die Vagabunden. Bd. 1. Breslau, 1852, S. 223. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/holtei_vagabunden01_1852/239>, abgerufen am 24.11.2024.
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