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Holtei, Karl von: Die Vagabunden. Bd. 1. Breslau, 1852.

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dieser mit einem Enkelsohne gelebt und ist gestorben,
ohne eine schriftliche Spur seiner Herkunft irgend
einer Behörde zu überreichen. Man weiß kaum,
woher sie kam, kennt ihre früheren Verhältnisse nicht
und der Einzige der davon wußte, dem sie sich bei
ihrer Uebersiedlung als Grundherrn und Obrigkeit
von Liebenau entdecken mußte, hat, was nur ihm
bekannt gewesen, mit genommen in den Aufenthalt
des Schweigens. Anton ist ein uneheliches Kind;
das gesteht er, auf scharf-dringende Fragen mit tödt-
licher Verschämtheit zu. Seine Mutter würde gesetz-
mäßige Erbin sein. Erst von dieser könnte er em-
pfangen, was, wie er wähnte, schon ihm gehörte.
Aber wo ist diese Mutter? Sie soll bei einer Ueber-
schwemmung ertrunken sein! Dieses "sie soll" kann
dem Gerichtshalter keinesweges genügen. Wo blieb
ihr Todtenschein? Und sind nicht vielleicht noch an-
dere Verwandte am Leben, die Ansprüche zu machen
hätten? Diese müssen aufgerufen werden! Man muß
Erkundigungen einziehen. Für's Erste muß ein
Kurator eingesetzt werden, der die Hinterlassenschaft
verwaltet. Anton, als noch unmündig, muß einen
Vormund bekommen.

Diese und andere Anordnungen des unerbittlichen

dieſer mit einem Enkelſohne gelebt und iſt geſtorben,
ohne eine ſchriftliche Spur ſeiner Herkunft irgend
einer Behoͤrde zu uͤberreichen. Man weiß kaum,
woher ſie kam, kennt ihre fruͤheren Verhaͤltniſſe nicht
und der Einzige der davon wußte, dem ſie ſich bei
ihrer Ueberſiedlung als Grundherrn und Obrigkeit
von Liebenau entdecken mußte, hat, was nur ihm
bekannt geweſen, mit genommen in den Aufenthalt
des Schweigens. Anton iſt ein uneheliches Kind;
das geſteht er, auf ſcharf-dringende Fragen mit toͤdt-
licher Verſchaͤmtheit zu. Seine Mutter wuͤrde geſetz-
maͤßige Erbin ſein. Erſt von dieſer koͤnnte er em-
pfangen, was, wie er waͤhnte, ſchon ihm gehoͤrte.
Aber wo iſt dieſe Mutter? Sie ſoll bei einer Ueber-
ſchwemmung ertrunken ſein! Dieſes „ſie ſoll“ kann
dem Gerichtshalter keinesweges genuͤgen. Wo blieb
ihr Todtenſchein? Und ſind nicht vielleicht noch an-
dere Verwandte am Leben, die Anſpruͤche zu machen
haͤtten? Dieſe muͤſſen aufgerufen werden! Man muß
Erkundigungen einziehen. Fuͤr’s Erſte muß ein
Kurator eingeſetzt werden, der die Hinterlaſſenſchaft
verwaltet. Anton, als noch unmuͤndig, muß einen
Vormund bekommen.

Dieſe und andere Anordnungen des unerbittlichen

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[214/0230] dieſer mit einem Enkelſohne gelebt und iſt geſtorben, ohne eine ſchriftliche Spur ſeiner Herkunft irgend einer Behoͤrde zu uͤberreichen. Man weiß kaum, woher ſie kam, kennt ihre fruͤheren Verhaͤltniſſe nicht und der Einzige der davon wußte, dem ſie ſich bei ihrer Ueberſiedlung als Grundherrn und Obrigkeit von Liebenau entdecken mußte, hat, was nur ihm bekannt geweſen, mit genommen in den Aufenthalt des Schweigens. Anton iſt ein uneheliches Kind; das geſteht er, auf ſcharf-dringende Fragen mit toͤdt- licher Verſchaͤmtheit zu. Seine Mutter wuͤrde geſetz- maͤßige Erbin ſein. Erſt von dieſer koͤnnte er em- pfangen, was, wie er waͤhnte, ſchon ihm gehoͤrte. Aber wo iſt dieſe Mutter? Sie ſoll bei einer Ueber- ſchwemmung ertrunken ſein! Dieſes „ſie ſoll“ kann dem Gerichtshalter keinesweges genuͤgen. Wo blieb ihr Todtenſchein? Und ſind nicht vielleicht noch an- dere Verwandte am Leben, die Anſpruͤche zu machen haͤtten? Dieſe muͤſſen aufgerufen werden! Man muß Erkundigungen einziehen. Fuͤr’s Erſte muß ein Kurator eingeſetzt werden, der die Hinterlaſſenſchaft verwaltet. Anton, als noch unmuͤndig, muß einen Vormund bekommen. Dieſe und andere Anordnungen des unerbittlichen

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Zitationshilfe: Holtei, Karl von: Die Vagabunden. Bd. 1. Breslau, 1852, S. 214. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/holtei_vagabunden01_1852/230>, abgerufen am 24.11.2024.