nächsten Winters; des engen Lebens im kleinen Raume, mit der Großmutter allein. Die langen Abende bei matter Lampe! Und man spricht sich zuletzt aus; wovon auch sollen ihrer zwei immer und immer mit einander reden? Da schleicht die Zeit so traurig hin .... Was aber, -- dieser Gedanke überkam ihn plötzlich, -- was aber, wenn sie auch nicht mehr da wäre. Wenn Du ganz allein bliebest?
Wie von einem wilden Thiere überfallen, fuhr er schaudernd in die Höh'! Seine unbestimmten Ahnungen nahmen Gestalt an: er sah die Großmutter jetzt im Geiste, wie er neulich den schwarzen Wolf- gang gesehen, so bleich, so starr -- und länger wär' er nicht mehr im Stande gewesen sich ihr fern zu halten. Er stürzte zu ihr hinein.
Sie lag im Bette. Keine Lampe brannte. Anton machte Licht und näherte sich ihrem Lager. Unbe- weglich lag sie da, die Arme ausgestreckt, das Antlitz kaum zum erkennen. Weil sie die Augen geschlossen, meinte Anton sie schliefe, und schwieg. Der Schein des Lichtes that ihr sichtbar wehe: sie zuckte mit den Augenlidern und flüsterte matt: geh' schlafen, mein Sohn; laß' mich auch schlafen. Jch bitte Dich. Reden wollen wir morgen. Heute kann ich nicht.
naͤchſten Winters; des engen Lebens im kleinen Raume, mit der Großmutter allein. Die langen Abende bei matter Lampe! Und man ſpricht ſich zuletzt aus; wovon auch ſollen ihrer zwei immer und immer mit einander reden? Da ſchleicht die Zeit ſo traurig hin .... Was aber, — dieſer Gedanke uͤberkam ihn ploͤtzlich, — was aber, wenn ſie auch nicht mehr da waͤre. Wenn Du ganz allein bliebeſt?
Wie von einem wilden Thiere uͤberfallen, fuhr er ſchaudernd in die Hoͤh’! Seine unbeſtimmten Ahnungen nahmen Geſtalt an: er ſah die Großmutter jetzt im Geiſte, wie er neulich den ſchwarzen Wolf- gang geſehen, ſo bleich, ſo ſtarr — und laͤnger waͤr’ er nicht mehr im Stande geweſen ſich ihr fern zu halten. Er ſtuͤrzte zu ihr hinein.
Sie lag im Bette. Keine Lampe brannte. Anton machte Licht und naͤherte ſich ihrem Lager. Unbe- weglich lag ſie da, die Arme ausgeſtreckt, das Antlitz kaum zum erkennen. Weil ſie die Augen geſchloſſen, meinte Anton ſie ſchliefe, und ſchwieg. Der Schein des Lichtes that ihr ſichtbar wehe: ſie zuckte mit den Augenlidern und fluͤſterte matt: geh’ ſchlafen, mein Sohn; laß’ mich auch ſchlafen. Jch bitte Dich. Reden wollen wir morgen. Heute kann ich nicht.
<TEI><text><body><divn="1"><p><pbfacs="#f0200"n="184"/>
naͤchſten Winters; des engen Lebens im kleinen Raume,<lb/>
mit der Großmutter allein. Die langen Abende bei<lb/>
matter Lampe! Und man ſpricht ſich zuletzt aus;<lb/>
wovon auch ſollen ihrer zwei immer und immer mit<lb/>
einander reden? Da ſchleicht die Zeit ſo traurig hin ....<lb/>
Was aber, — dieſer Gedanke uͤberkam ihn ploͤtzlich,<lb/>— was aber, wenn <hirendition="#g">ſie</hi> auch nicht mehr da waͤre.<lb/>
Wenn Du ganz allein bliebeſt?</p><lb/><p>Wie von einem wilden Thiere uͤberfallen, fuhr<lb/>
er ſchaudernd in die Hoͤh’! Seine unbeſtimmten<lb/>
Ahnungen nahmen Geſtalt an: er ſah die Großmutter<lb/>
jetzt im Geiſte, wie er neulich den ſchwarzen Wolf-<lb/>
gang geſehen, ſo bleich, ſo ſtarr — und laͤnger waͤr’<lb/>
er nicht mehr im Stande geweſen ſich ihr fern zu<lb/>
halten. Er ſtuͤrzte zu ihr hinein.</p><lb/><p>Sie lag im Bette. Keine Lampe brannte. Anton<lb/>
machte Licht und naͤherte ſich ihrem Lager. Unbe-<lb/>
weglich lag ſie da, die Arme ausgeſtreckt, das Antlitz<lb/>
kaum zum erkennen. Weil ſie die Augen geſchloſſen,<lb/>
meinte Anton ſie ſchliefe, und ſchwieg. Der Schein<lb/>
des Lichtes that ihr ſichtbar wehe: ſie zuckte mit den<lb/>
Augenlidern und fluͤſterte matt: geh’ſchlafen, mein<lb/>
Sohn; laß’ mich auch ſchlafen. Jch bitte Dich.<lb/>
Reden wollen wir morgen. Heute kann ich nicht.<lb/></p></div></body></text></TEI>
[184/0200]
naͤchſten Winters; des engen Lebens im kleinen Raume,
mit der Großmutter allein. Die langen Abende bei
matter Lampe! Und man ſpricht ſich zuletzt aus;
wovon auch ſollen ihrer zwei immer und immer mit
einander reden? Da ſchleicht die Zeit ſo traurig hin ....
Was aber, — dieſer Gedanke uͤberkam ihn ploͤtzlich,
— was aber, wenn ſie auch nicht mehr da waͤre.
Wenn Du ganz allein bliebeſt?
Wie von einem wilden Thiere uͤberfallen, fuhr
er ſchaudernd in die Hoͤh’! Seine unbeſtimmten
Ahnungen nahmen Geſtalt an: er ſah die Großmutter
jetzt im Geiſte, wie er neulich den ſchwarzen Wolf-
gang geſehen, ſo bleich, ſo ſtarr — und laͤnger waͤr’
er nicht mehr im Stande geweſen ſich ihr fern zu
halten. Er ſtuͤrzte zu ihr hinein.
Sie lag im Bette. Keine Lampe brannte. Anton
machte Licht und naͤherte ſich ihrem Lager. Unbe-
weglich lag ſie da, die Arme ausgeſtreckt, das Antlitz
kaum zum erkennen. Weil ſie die Augen geſchloſſen,
meinte Anton ſie ſchliefe, und ſchwieg. Der Schein
des Lichtes that ihr ſichtbar wehe: ſie zuckte mit den
Augenlidern und fluͤſterte matt: geh’ ſchlafen, mein
Sohn; laß’ mich auch ſchlafen. Jch bitte Dich.
Reden wollen wir morgen. Heute kann ich nicht.
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Holtei, Karl von: Die Vagabunden. Bd. 1. Breslau, 1852, S. 184. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/holtei_vagabunden01_1852/200>, abgerufen am 28.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.