Wie in Liebenau die Linden blühen, und wie in deren Dufte die alte Mutter Goksch ihren Enkel, den blauäugigen Anton erwartet; auch was sie mit einander redeten.
Die Linden standen in voller Blüthe. Vor der Thüre ihrer kleinen Hütte saß auf einem zerbrochenen umgestürzten Korbe die alte Mutter Goksch zwischen zwei Misthaufen, vor sich ein Gärtchen voll blühen- der Blumen. Mit sichtlicher Vorliebe wendete sie ein- mal ums anderemal ihren matten Blick dem Dünger zu; der Blumen achtete sie wenig, weil sie ihnen jenen Raum nicht gönnte, wo nach ihrer Meinung Kartoffeln wachsen sollten. Sieht man doch gleich, murmelte sie vor sich hin, daß der Junge eines Vor- nehmen Kind ist: Jmmer denkt er auf Putz und Schmuck, und die Großmutter mag zusehen, wo sie Futter hernimmt für ihn, wie für sich selbst. Und wo er nun wieder bleibt? Die Sonne wird bald zu Rüste gehen, aber er treibt sich noch im Walde herum. Und wenn er kommt, kann ich nicht einmal mit ihm zanken, ob ich schon möchte, weil er so große dunkel-
Die Vagabunden. I. 1
Erſtes Kapitel.
Wie in Liebenau die Linden blühen, und wie in deren Dufte die alte Mutter Gokſch ihren Enkel, den blauäugigen Anton erwartet; auch was ſie mit einander redeten.
Die Linden ſtanden in voller Bluͤthe. Vor der Thuͤre ihrer kleinen Huͤtte ſaß auf einem zerbrochenen umgeſtuͤrzten Korbe die alte Mutter Gokſch zwiſchen zwei Miſthaufen, vor ſich ein Gaͤrtchen voll bluͤhen- der Blumen. Mit ſichtlicher Vorliebe wendete ſie ein- mal ums anderemal ihren matten Blick dem Duͤnger zu; der Blumen achtete ſie wenig, weil ſie ihnen jenen Raum nicht goͤnnte, wo nach ihrer Meinung Kartoffeln wachſen ſollten. Sieht man doch gleich, murmelte ſie vor ſich hin, daß der Junge eines Vor- nehmen Kind iſt: Jmmer denkt er auf Putz und Schmuck, und die Großmutter mag zuſehen, wo ſie Futter hernimmt fuͤr ihn, wie fuͤr ſich ſelbſt. Und wo er nun wieder bleibt? Die Sonne wird bald zu Ruͤſte gehen, aber er treibt ſich noch im Walde herum. Und wenn er kommt, kann ich nicht einmal mit ihm zanken, ob ich ſchon moͤchte, weil er ſo große dunkel-
Die Vagabunden. I. 1
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Erſtes Kapitel.
Wie in Liebenau die Linden blühen, und wie in deren Dufte die alte Mutter
Gokſch ihren Enkel, den blauäugigen Anton erwartet; auch was ſie mit
einander redeten.
Die Linden ſtanden in voller Bluͤthe. Vor der
Thuͤre ihrer kleinen Huͤtte ſaß auf einem zerbrochenen
umgeſtuͤrzten Korbe die alte Mutter Gokſch zwiſchen
zwei Miſthaufen, vor ſich ein Gaͤrtchen voll bluͤhen-
der Blumen. Mit ſichtlicher Vorliebe wendete ſie ein-
mal ums anderemal ihren matten Blick dem Duͤnger
zu; der Blumen achtete ſie wenig, weil ſie ihnen
jenen Raum nicht goͤnnte, wo nach ihrer Meinung
Kartoffeln wachſen ſollten. Sieht man doch gleich,
murmelte ſie vor ſich hin, daß der Junge eines Vor-
nehmen Kind iſt: Jmmer denkt er auf Putz und
Schmuck, und die Großmutter mag zuſehen, wo ſie
Futter hernimmt fuͤr ihn, wie fuͤr ſich ſelbſt. Und wo
er nun wieder bleibt? Die Sonne wird bald zu Ruͤſte
gehen, aber er treibt ſich noch im Walde herum.
Und wenn er kommt, kann ich nicht einmal mit ihm
zanken, ob ich ſchon moͤchte, weil er ſo große dunkel-
Die Vagabunden. I. 1
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Holtei, Karl von: Die Vagabunden. Bd. 1. Breslau, 1852, S. [1]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/holtei_vagabunden01_1852/17>, abgerufen am 27.11.2024.
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