von Dir, Du dumme Gans, hängt es jetzund ab, und von Deiner Larve und Deinen paar Pfund Gänse- fleisch, ob Dein alter Vater wie ein Bettelhund von Haus und Hof wandern soll? Oder ob Du den ein- zigen Sohn des verfluchten Wucherers fangen und den Vater retten kannst! -- Reiche Dame, -- oder alte Spitaljungfer? Du hast die Wahl!
Baron Kannabich war noch nicht betrunken, als er diese gewichtigen Worte sprach; denn er hatte sich für van der Helffts wahrscheinlichen Empfang nüch- tern erhalten wollen, weshalb er auch in der Kirche die Predigt abgewartet.
Der Erndtekranz wurde um vier Uhr Nachmittags in's Herrenhaus getragen. Musikanten gingen dem Zuge voran; viele Dorfleute, darunter auch solche, die nichts mit der Feierlichkeit gemein hatten, folgten ihm, um bei Gelegenheit in jene Räume des Schlosses dringen zu dürfen, welche sonst niemals geöffnet wur- den, und dort die alten, buntseidenen, wenn auch von Zeit und Mäusen zerstörten Tapeten anzugaffen. Anton war so sehr daran gewöhnt, diesen Zug mitzu- machen, noch aus den Jahren frühester Kindheit, wo er als Gespiele der Fräuleins und als Tieletunke's Liebling sich im Schlosse heimisch fühlte, daß er auch
von Dir, Du dumme Gans, haͤngt es jetzund ab, und von Deiner Larve und Deinen paar Pfund Gaͤnſe- fleiſch, ob Dein alter Vater wie ein Bettelhund von Haus und Hof wandern ſoll? Oder ob Du den ein- zigen Sohn des verfluchten Wucherers fangen und den Vater retten kannſt! — Reiche Dame, — oder alte Spitaljungfer? Du haſt die Wahl!
Baron Kannabich war noch nicht betrunken, als er dieſe gewichtigen Worte ſprach; denn er hatte ſich fuͤr van der Helffts wahrſcheinlichen Empfang nuͤch- tern erhalten wollen, weshalb er auch in der Kirche die Predigt abgewartet.
Der Erndtekranz wurde um vier Uhr Nachmittags in’s Herrenhaus getragen. Muſikanten gingen dem Zuge voran; viele Dorfleute, darunter auch ſolche, die nichts mit der Feierlichkeit gemein hatten, folgten ihm, um bei Gelegenheit in jene Raͤume des Schloſſes dringen zu duͤrfen, welche ſonſt niemals geoͤffnet wur- den, und dort die alten, buntſeidenen, wenn auch von Zeit und Maͤuſen zerſtoͤrten Tapeten anzugaffen. Anton war ſo ſehr daran gewoͤhnt, dieſen Zug mitzu- machen, noch aus den Jahren fruͤheſter Kindheit, wo er als Geſpiele der Fraͤuleins und als Tieletunke’s Liebling ſich im Schloſſe heimiſch fuͤhlte, daß er auch
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von Dir, Du dumme Gans, haͤngt es jetzund ab, und
von Deiner Larve und Deinen paar Pfund Gaͤnſe-
fleiſch, ob Dein alter Vater wie ein Bettelhund von
Haus und Hof wandern ſoll? Oder ob Du den ein-
zigen Sohn des verfluchten Wucherers fangen und
den Vater retten kannſt! — Reiche Dame, — oder
alte Spitaljungfer? Du haſt die Wahl!
Baron Kannabich war noch nicht betrunken, als
er dieſe gewichtigen Worte ſprach; denn er hatte ſich
fuͤr van der Helffts wahrſcheinlichen Empfang nuͤch-
tern erhalten wollen, weshalb er auch in der Kirche
die Predigt abgewartet.
Der Erndtekranz wurde um vier Uhr Nachmittags
in’s Herrenhaus getragen. Muſikanten gingen dem
Zuge voran; viele Dorfleute, darunter auch ſolche,
die nichts mit der Feierlichkeit gemein hatten, folgten
ihm, um bei Gelegenheit in jene Raͤume des Schloſſes
dringen zu duͤrfen, welche ſonſt niemals geoͤffnet wur-
den, und dort die alten, buntſeidenen, wenn auch von
Zeit und Maͤuſen zerſtoͤrten Tapeten anzugaffen.
Anton war ſo ſehr daran gewoͤhnt, dieſen Zug mitzu-
machen, noch aus den Jahren fruͤheſter Kindheit, wo
er als Geſpiele der Fraͤuleins und als Tieletunke’s
Liebling ſich im Schloſſe heimiſch fuͤhlte, daß er auch
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Holtei, Karl von: Die Vagabunden. Bd. 1. Breslau, 1852, S. 128. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/holtei_vagabunden01_1852/144>, abgerufen am 22.11.2024.
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