Die Linden blühen längst nicht mehr, wie im ersten Kapitel. Auf den Feldern beginnt es leer zu werden. Die Erndte ist in vollem Gange. So reich, so günstig, wie sie in jenen minder fruchtbaren Land- strichen irgend ausfallen mag. Das Dorf Liebenau befand sich in freudiger Zufriedenheit: Die "Hofe- gärtner" hatten einen beträchtlichen Zehnten auf ihren Antheil erhalten; die Bedürfnisse des Jahres schienen vollauf gedeckt; Aepfel, Birnen und Pflaumen beug- ten unter ihrer Last die dicksten Baumäste nieder, daß man stützen mußte. Der Seegen des Herrn war über die armen Leute gekommen, was ihnen leider nicht alljährlich wiederfuhr. Darauf mögen nun wohl jene Dorfkomödianten rechnen, die mit einem kleinen Korbwagen, von zwei winzig kleinen Pferdchen gezo- gen, bei dem Wirthshause im Oberdorfe einkehren. Jm Wagen sitzt ein junges Weib, zwei Säuglinge an der Brust. Ein kleiner Junge von etwa fünf Jahren lenkt mit starker Faust die muntern Thiere. Der Wagen trägt eine Menge von wunderlichem Ge- räth, bunten Lappen, Stricken, Stangen und oben auf schwebt eine große Trommel. Neben dem Wagen geht ein baumlanger, wild-aussehender Mann; meh-
Die Linden bluͤhen laͤngſt nicht mehr, wie im erſten Kapitel. Auf den Feldern beginnt es leer zu werden. Die Erndte iſt in vollem Gange. So reich, ſo guͤnſtig, wie ſie in jenen minder fruchtbaren Land- ſtrichen irgend ausfallen mag. Das Dorf Liebenau befand ſich in freudiger Zufriedenheit: Die „Hofe- gaͤrtner“ hatten einen betraͤchtlichen Zehnten auf ihren Antheil erhalten; die Beduͤrfniſſe des Jahres ſchienen vollauf gedeckt; Aepfel, Birnen und Pflaumen beug- ten unter ihrer Laſt die dickſten Baumaͤſte nieder, daß man ſtuͤtzen mußte. Der Seegen des Herrn war uͤber die armen Leute gekommen, was ihnen leider nicht alljaͤhrlich wiederfuhr. Darauf moͤgen nun wohl jene Dorfkomoͤdianten rechnen, die mit einem kleinen Korbwagen, von zwei winzig kleinen Pferdchen gezo- gen, bei dem Wirthshauſe im Oberdorfe einkehren. Jm Wagen ſitzt ein junges Weib, zwei Saͤuglinge an der Bruſt. Ein kleiner Junge von etwa fuͤnf Jahren lenkt mit ſtarker Fauſt die muntern Thiere. Der Wagen traͤgt eine Menge von wunderlichem Ge- raͤth, bunten Lappen, Stricken, Stangen und oben auf ſchwebt eine große Trommel. Neben dem Wagen geht ein baumlanger, wild-ausſehender Mann; meh-
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Die Linden bluͤhen laͤngſt nicht mehr, wie im
erſten Kapitel. Auf den Feldern beginnt es leer zu
werden. Die Erndte iſt in vollem Gange. So reich,
ſo guͤnſtig, wie ſie in jenen minder fruchtbaren Land-
ſtrichen irgend ausfallen mag. Das Dorf Liebenau
befand ſich in freudiger Zufriedenheit: Die „Hofe-
gaͤrtner“ hatten einen betraͤchtlichen Zehnten auf ihren
Antheil erhalten; die Beduͤrfniſſe des Jahres ſchienen
vollauf gedeckt; Aepfel, Birnen und Pflaumen beug-
ten unter ihrer Laſt die dickſten Baumaͤſte nieder, daß
man ſtuͤtzen mußte. Der Seegen des Herrn war
uͤber die armen Leute gekommen, was ihnen leider
nicht alljaͤhrlich wiederfuhr. Darauf moͤgen nun wohl
jene Dorfkomoͤdianten rechnen, die mit einem kleinen
Korbwagen, von zwei winzig kleinen Pferdchen gezo-
gen, bei dem Wirthshauſe im Oberdorfe einkehren.
Jm Wagen ſitzt ein junges Weib, zwei Saͤuglinge
an der Bruſt. Ein kleiner Junge von etwa fuͤnf
Jahren lenkt mit ſtarker Fauſt die muntern Thiere.
Der Wagen traͤgt eine Menge von wunderlichem Ge-
raͤth, bunten Lappen, Stricken, Stangen und oben
auf ſchwebt eine große Trommel. Neben dem Wagen
geht ein baumlanger, wild-ausſehender Mann; meh-
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Holtei, Karl von: Die Vagabunden. Bd. 1. Breslau, 1852, S. 93. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/holtei_vagabunden01_1852/109>, abgerufen am 24.11.2024.
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