chenlied sänge? Worauf Anton aber entschieden ver- neinte und dabei sagte: Ha, wenn's des Fremden seine Geige wäre; die hat Töne im Leibe, daß sogar Fräulein Tieletunke ihren Spott vergißt, hinter der Hausthür, und einem armen Kerl einen Ku .... ja so! -- (Hier schlug er sich auf den Mund.)
Es begab sich übrigens in Antons Herzensange- legenheit, was bei solchen zwischen Furcht und Zwei- fel schwankenden Liebesgeschichten gewöhnlich ist; was auch meinen älteren Herrn Lesern aus ihrer Zeit noch, als selbst erlebt, erinnerlich sein mag, -- wofern Dieselben jemals in ähnlichen Lagen waren? Man hat erst vor lauter Liebe nicht zu lieben, man hat vor Sehnsucht nicht zu hoffen gewagt. Der Abstand schien zu groß. Auch wenn die Stände gleich wären. Denn für den kindlich und kindisch Liebenden, der mehr die Liebe als den Gegenstand liebt, ist besagter Gegenstand immer vom höchsten Stande; weil er in ihm stets einen Engel sieht. So kriecht er, ein an eigenem Werthe aufrichtig Zweifelnder, neben der fliegenden Himmelsbotin her und -- betet an. Doch plötzlich, siehe da, geschieht der Angebeteten etwas Menschliches; sie läßt sich zu ihm und seiner beschei- denen Ehrerbietung herab, -- wie etwa Ottilie es
chenlied ſaͤnge? Worauf Anton aber entſchieden ver- neinte und dabei ſagte: Ha, wenn’s des Fremden ſeine Geige waͤre; die hat Toͤne im Leibe, daß ſogar Fraͤulein Tieletunke ihren Spott vergißt, hinter der Hausthuͤr, und einem armen Kerl einen Ku .... ja ſo! — (Hier ſchlug er ſich auf den Mund.)
Es begab ſich uͤbrigens in Antons Herzensange- legenheit, was bei ſolchen zwiſchen Furcht und Zwei- fel ſchwankenden Liebesgeſchichten gewoͤhnlich iſt; was auch meinen aͤlteren Herrn Leſern aus ihrer Zeit noch, als ſelbſt erlebt, erinnerlich ſein mag, — wofern Dieſelben jemals in aͤhnlichen Lagen waren? Man hat erſt vor lauter Liebe nicht zu lieben, man hat vor Sehnſucht nicht zu hoffen gewagt. Der Abſtand ſchien zu groß. Auch wenn die Staͤnde gleich waͤren. Denn fuͤr den kindlich und kindiſch Liebenden, der mehr die Liebe als den Gegenſtand liebt, iſt beſagter Gegenſtand immer vom hoͤchſten Stande; weil er in ihm ſtets einen Engel ſieht. So kriecht er, ein an eigenem Werthe aufrichtig Zweifelnder, neben der fliegenden Himmelsbotin her und — betet an. Doch ploͤtzlich, ſiehe da, geſchieht der Angebeteten etwas Menſchliches; ſie laͤßt ſich zu ihm und ſeiner beſchei- denen Ehrerbietung herab, — wie etwa Ottilie es
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chenlied ſaͤnge? Worauf Anton aber entſchieden ver-
neinte und dabei ſagte: Ha, wenn’s des Fremden
ſeine Geige waͤre; die hat Toͤne im Leibe, daß ſogar
Fraͤulein Tieletunke ihren Spott vergißt, hinter der
Hausthuͤr, und einem armen Kerl einen Ku .... ja
ſo! — (Hier ſchlug er ſich auf den Mund.)
Es begab ſich uͤbrigens in Antons Herzensange-
legenheit, was bei ſolchen zwiſchen Furcht und Zwei-
fel ſchwankenden Liebesgeſchichten gewoͤhnlich iſt;
was auch meinen aͤlteren Herrn Leſern aus ihrer Zeit
noch, als ſelbſt erlebt, erinnerlich ſein mag, — wofern
Dieſelben jemals in aͤhnlichen Lagen waren? Man
hat erſt vor lauter Liebe nicht zu lieben, man hat vor
Sehnſucht nicht zu hoffen gewagt. Der Abſtand
ſchien zu groß. Auch wenn die Staͤnde gleich waͤren.
Denn fuͤr den kindlich und kindiſch Liebenden, der
mehr die Liebe als den Gegenſtand liebt, iſt beſagter
Gegenſtand immer vom hoͤchſten Stande; weil er in
ihm ſtets einen Engel ſieht. So kriecht er, ein an
eigenem Werthe aufrichtig Zweifelnder, neben der
fliegenden Himmelsbotin her und — betet an. Doch
ploͤtzlich, ſiehe da, geſchieht der Angebeteten etwas
Menſchliches; ſie laͤßt ſich zu ihm und ſeiner beſchei-
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Holtei, Karl von: Die Vagabunden. Bd. 1. Breslau, 1852, S. 89. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/holtei_vagabunden01_1852/105>, abgerufen am 24.11.2024.
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