Holtei, Karl von: 's Muhme-Leutnant-Saloppel. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 12. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 195–231. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016.die Muhme-Lieutnanten für ihre eigene kleine Person verzehrte. Desto mehr aßen die Tiesel'schen Mädchen. Lene zählte elf, Fritzel zehn Jahre (der Bruder, das jüngste der Geschwister, erst sieben). Sie wuchsen tüchtig und brachten einen wahren Wolfshunger zu jeder Mahlzeit mit. Daß sie in einer Art von Rumpelkammer, deren Mauerwölbung sie und die Eltern vor feindlichen Bomben schützen sollte, eingepfercht und bei dicht verrammelten Fenstern in dauernde, nur durch dünne Kerzen schwach erhellte Nacht gebannt waren, raubte ihnen Nichts von ihrer Eßlust. Bedurften sie doch keiner Bewegung, um von früh bis Abends, jungen Raben gleich, nach leiblicher Nahrung zu schreien. Auch darin erwies sich die Muhme Lieutnanten ihrer Freundschaft von unnennbarem Nutzen. Wie nur ein kurzer Stillstand in der Kanonade eintrat, mochte es nun wirklicher Waffenstillstand nach Kriegsgebrauch, mochte es ein zufälliger sein, -- augenblicklich nahm sie ihr Salopper um und wagte sich hinaus, unbekümmert wegen jeglicher Gefahr, durchs Langeholz-Gässel auf den Neumarkt, wo der Gabeljürge gleichmüthig, fest, seinen Strahl emporsandte, und wo Wawerle, nicht minder muthig, als jener steinerne Mann, bei verschiedenen Händlern und Unterhändlern die verschiedensten Eßwaaren aufzutreiben wußte, welche sie dann -- nicht selten von plötzlich wieder beginnendem Ausbruche der Feindseligkeiten überrascht -- dennoch tapfer heimbrachte. Die jungen Tieselinnen kannten den die Muhme-Lieutnanten für ihre eigene kleine Person verzehrte. Desto mehr aßen die Tiesel'schen Mädchen. Lene zählte elf, Fritzel zehn Jahre (der Bruder, das jüngste der Geschwister, erst sieben). Sie wuchsen tüchtig und brachten einen wahren Wolfshunger zu jeder Mahlzeit mit. Daß sie in einer Art von Rumpelkammer, deren Mauerwölbung sie und die Eltern vor feindlichen Bomben schützen sollte, eingepfercht und bei dicht verrammelten Fenstern in dauernde, nur durch dünne Kerzen schwach erhellte Nacht gebannt waren, raubte ihnen Nichts von ihrer Eßlust. Bedurften sie doch keiner Bewegung, um von früh bis Abends, jungen Raben gleich, nach leiblicher Nahrung zu schreien. Auch darin erwies sich die Muhme Lieutnanten ihrer Freundschaft von unnennbarem Nutzen. Wie nur ein kurzer Stillstand in der Kanonade eintrat, mochte es nun wirklicher Waffenstillstand nach Kriegsgebrauch, mochte es ein zufälliger sein, — augenblicklich nahm sie ihr Salopper um und wagte sich hinaus, unbekümmert wegen jeglicher Gefahr, durchs Langeholz-Gässel auf den Neumarkt, wo der Gabeljürge gleichmüthig, fest, seinen Strahl emporsandte, und wo Wawerle, nicht minder muthig, als jener steinerne Mann, bei verschiedenen Händlern und Unterhändlern die verschiedensten Eßwaaren aufzutreiben wußte, welche sie dann — nicht selten von plötzlich wieder beginnendem Ausbruche der Feindseligkeiten überrascht — dennoch tapfer heimbrachte. Die jungen Tieselinnen kannten den <TEI> <text> <body> <div type="chapter" n="2"> <p><pb facs="#f0013"/> die Muhme-Lieutnanten für ihre eigene kleine Person verzehrte. Desto mehr aßen die Tiesel'schen Mädchen. Lene zählte elf, Fritzel zehn Jahre (der Bruder, das jüngste der Geschwister, erst sieben). Sie wuchsen tüchtig und brachten einen wahren Wolfshunger zu jeder Mahlzeit mit. Daß sie in einer Art von Rumpelkammer, deren Mauerwölbung sie und die Eltern vor feindlichen Bomben schützen sollte, eingepfercht und bei dicht verrammelten Fenstern in dauernde, nur durch dünne Kerzen schwach erhellte Nacht gebannt waren, raubte ihnen Nichts von ihrer Eßlust. Bedurften sie doch keiner Bewegung, um von früh bis Abends, jungen Raben gleich, nach leiblicher Nahrung zu schreien. Auch darin erwies sich die Muhme Lieutnanten ihrer Freundschaft von unnennbarem Nutzen. Wie nur ein kurzer Stillstand in der Kanonade eintrat, mochte es nun wirklicher Waffenstillstand nach Kriegsgebrauch, mochte es ein zufälliger sein, — augenblicklich nahm sie ihr Salopper um und wagte sich hinaus, unbekümmert wegen jeglicher Gefahr, durchs Langeholz-Gässel auf den Neumarkt, wo der Gabeljürge gleichmüthig, fest, seinen Strahl emporsandte, und wo Wawerle, nicht minder muthig, als jener steinerne Mann, bei verschiedenen Händlern und Unterhändlern die verschiedensten Eßwaaren aufzutreiben wußte, welche sie dann — nicht selten von plötzlich wieder beginnendem Ausbruche der Feindseligkeiten überrascht — dennoch tapfer heimbrachte. Die jungen Tieselinnen kannten den<lb/></p> </div> </body> </text> </TEI> [0013]
die Muhme-Lieutnanten für ihre eigene kleine Person verzehrte. Desto mehr aßen die Tiesel'schen Mädchen. Lene zählte elf, Fritzel zehn Jahre (der Bruder, das jüngste der Geschwister, erst sieben). Sie wuchsen tüchtig und brachten einen wahren Wolfshunger zu jeder Mahlzeit mit. Daß sie in einer Art von Rumpelkammer, deren Mauerwölbung sie und die Eltern vor feindlichen Bomben schützen sollte, eingepfercht und bei dicht verrammelten Fenstern in dauernde, nur durch dünne Kerzen schwach erhellte Nacht gebannt waren, raubte ihnen Nichts von ihrer Eßlust. Bedurften sie doch keiner Bewegung, um von früh bis Abends, jungen Raben gleich, nach leiblicher Nahrung zu schreien. Auch darin erwies sich die Muhme Lieutnanten ihrer Freundschaft von unnennbarem Nutzen. Wie nur ein kurzer Stillstand in der Kanonade eintrat, mochte es nun wirklicher Waffenstillstand nach Kriegsgebrauch, mochte es ein zufälliger sein, — augenblicklich nahm sie ihr Salopper um und wagte sich hinaus, unbekümmert wegen jeglicher Gefahr, durchs Langeholz-Gässel auf den Neumarkt, wo der Gabeljürge gleichmüthig, fest, seinen Strahl emporsandte, und wo Wawerle, nicht minder muthig, als jener steinerne Mann, bei verschiedenen Händlern und Unterhändlern die verschiedensten Eßwaaren aufzutreiben wußte, welche sie dann — nicht selten von plötzlich wieder beginnendem Ausbruche der Feindseligkeiten überrascht — dennoch tapfer heimbrachte. Die jungen Tieselinnen kannten den
Suche im WerkInformationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
Voyant Tools
|
URL zu diesem Werk: | https://www.deutschestextarchiv.de/holtei_saloppel_1910 |
URL zu dieser Seite: | https://www.deutschestextarchiv.de/holtei_saloppel_1910/13 |
Zitationshilfe: | Holtei, Karl von: 's Muhme-Leutnant-Saloppel. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 12. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 195–231. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/holtei_saloppel_1910/13>, abgerufen am 26.07.2024. |