Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Hofmann von Hofmannswaldau, Christian: Deutsche Ubersetzungen und Gedichte. Breslau, 1679.

Bild:
<< vorherige Seite
Socrates.
schaue nur wie ich des Simias angeführte Meinung
verstehe. Jn dem man nach dem Tode eines
Menschen schauet/ das von dem geringen noch
etwas übrig bleibet/ wie solte man dann nicht ge-
stehen/ daß dieses/ was fester und beständiger ist/ e-
ben so wol übrig bleiben solle. Betrachte nun/ von
was für Wichtigkeit die Antwort sey/ welche ich
darauf gebe. Jch muß aber besseres Verstandes
halber/ wie Simias mich eines Gleichnisses ge-
brauchen. Mich bedünckt/ daß dieses sich eben so
verhält/ als wann man nach dem Tode eines alten
Webers sagen solte/ dieser Mann ist noch/ dieweil
das Kleid/ so er hatte/ noch übrig ist/ und zu besserer
Bestärckung noch dazu thäte/ daß/ weil ein Mensch
länger als ein leinen Kleid wehret/ so muß es noth-
wendigfolgen/ dafern das Kleid nach des Webers
Tode verbleibet/ der Weber auch/ weil er werhaf-
tiger als sein Kleid ist/ verbleiben müsse. Mich
bedüncket Simias/ daß dieses alles nicht bestehet/
und das wenig Leute mit dem angeführten Beweiß
würden zu frieden seyn. Dann der Weber/ so viel
Kleider wird verschleissen/ und viel gewircket ha-
ben/ ist nach Verschleissung vieler Kleider/ und nur
eher als eines unter denselben gestorben; Daraus
aber erfolget keines weges/ daß der Mensch etwas
geringers und vergänglichers als ein Kleid sey.
Man kan nun/ meinem Erachten nach/ zwischen der
Seele/ und dem Leibe/ so schwächer und zubrechli-
cher ist/ eine gleichmäßige Vergleichung machen/
daß nemlich ein iedweder Seele viel lieber verschleist
dann
E 5
Socrates.
ſchaue nur wie ich des Simias angefuͤhrte Meinung
verſtehe. Jn dem man nach dem Tode eines
Menſchen ſchauet/ das von dem geringen noch
etwas uͤbrig bleibet/ wie ſolte man dann nicht ge-
ſtehen/ daß dieſes/ was feſter und beſtaͤndiger iſt/ e-
ben ſo wol uͤbrig bleiben ſolle. Betrachte nun/ von
was fuͤr Wichtigkeit die Antwort ſey/ welche ich
darauf gebe. Jch muß aber beſſeres Verſtandes
halber/ wie Simias mich eines Gleichniſſes ge-
brauchen. Mich beduͤnckt/ daß dieſes ſich eben ſo
verhaͤlt/ als wann man nach dem Tode eines alten
Webers ſagen ſolte/ dieſer Mann iſt noch/ dieweil
das Kleid/ ſo er hatte/ noch uͤbrig iſt/ und zu beſſerer
Beſtaͤrckung noch dazu thaͤte/ daß/ weil ein Menſch
laͤnger als ein leinen Kleid wehret/ ſo muß es noth-
wendigfolgen/ dafern das Kleid nach des Webers
Tode verbleibet/ der Weber auch/ weil er werhaf-
tiger als ſein Kleid iſt/ verbleiben muͤſſe. Mich
beduͤncket Simias/ daß dieſes alles nicht beſtehet/
und das wenig Leute mit dem angefuͤhrten Beweiß
wuͤrden zu frieden ſeyn. Dann der Weber/ ſo viel
Kleider wird verſchleiſſen/ und viel gewircket ha-
ben/ iſt nach Verſchleiſſung vieler Kleider/ und nur
eher als eines unter denſelben geſtorben; Daraus
aber erfolget keines weges/ daß der Menſch etwas
geringers und vergaͤnglichers als ein Kleid ſey.
Man kan nun/ meinem Erachten nach/ zwiſchen der
Seele/ und dem Leibe/ ſo ſchwaͤcher und zubrechli-
cher iſt/ eine gleichmaͤßige Vergleichung machen/
daß nemlich ein iedweder Seele viel lieber verſchleiſt
dann
E 5
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <sp who="#SIM">
          <p><pb facs="#f0325" n="67"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#b">Socrates.</hi></fw><lb/>
&#x017F;chaue nur wie ich des Simias angefu&#x0364;hrte Meinung<lb/>
ver&#x017F;tehe. Jn dem man nach dem Tode eines<lb/>
Men&#x017F;chen &#x017F;chauet/ das von dem geringen noch<lb/>
etwas u&#x0364;brig bleibet/ wie &#x017F;olte man dann nicht ge-<lb/>
&#x017F;tehen/ daß die&#x017F;es/ was fe&#x017F;ter und be&#x017F;ta&#x0364;ndiger i&#x017F;t/ e-<lb/>
ben &#x017F;o wol u&#x0364;brig bleiben &#x017F;olle. Betrachte nun/ von<lb/>
was fu&#x0364;r Wichtigkeit die Antwort &#x017F;ey/ welche ich<lb/>
darauf gebe. Jch muß aber be&#x017F;&#x017F;eres Ver&#x017F;tandes<lb/>
halber/ wie Simias mich eines Gleichni&#x017F;&#x017F;es ge-<lb/>
brauchen. Mich bedu&#x0364;nckt/ daß die&#x017F;es &#x017F;ich eben &#x017F;o<lb/>
verha&#x0364;lt/ als wann man nach dem Tode eines alten<lb/>
Webers &#x017F;agen &#x017F;olte/ die&#x017F;er Mann i&#x017F;t noch/ dieweil<lb/>
das Kleid/ &#x017F;o er hatte/ noch u&#x0364;brig i&#x017F;t/ und zu be&#x017F;&#x017F;erer<lb/>
Be&#x017F;ta&#x0364;rckung noch dazu tha&#x0364;te/ daß/ weil ein Men&#x017F;ch<lb/>
la&#x0364;nger als ein leinen Kleid wehret/ &#x017F;o muß es noth-<lb/>
wendigfolgen/ dafern das Kleid nach des Webers<lb/>
Tode verbleibet/ der Weber auch/ weil er werhaf-<lb/>
tiger als &#x017F;ein Kleid i&#x017F;t/ verbleiben mu&#x0364;&#x017F;&#x017F;e. Mich<lb/>
bedu&#x0364;ncket Simias/ daß die&#x017F;es alles nicht be&#x017F;tehet/<lb/>
und das wenig Leute mit dem angefu&#x0364;hrten Beweiß<lb/>
wu&#x0364;rden zu frieden &#x017F;eyn. Dann der Weber/ &#x017F;o viel<lb/>
Kleider wird ver&#x017F;chlei&#x017F;&#x017F;en/ und viel gewircket ha-<lb/>
ben/ i&#x017F;t nach Ver&#x017F;chlei&#x017F;&#x017F;ung vieler Kleider/ und nur<lb/>
eher als eines unter den&#x017F;elben ge&#x017F;torben; Daraus<lb/>
aber erfolget keines weges/ daß der Men&#x017F;ch etwas<lb/>
geringers und verga&#x0364;nglichers als ein Kleid &#x017F;ey.<lb/>
Man kan nun/ meinem Erachten nach/ zwi&#x017F;chen der<lb/>
Seele/ und dem Leibe/ &#x017F;o &#x017F;chwa&#x0364;cher und zubrechli-<lb/>
cher i&#x017F;t/ eine gleichma&#x0364;ßige Vergleichung machen/<lb/>
daß nemlich ein iedweder Seele viel lieber ver&#x017F;chlei&#x017F;t<lb/>
<fw place="bottom" type="sig">E 5</fw><fw place="bottom" type="catch">dann</fw><lb/></p>
        </sp>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[67/0325] Socrates. ſchaue nur wie ich des Simias angefuͤhrte Meinung verſtehe. Jn dem man nach dem Tode eines Menſchen ſchauet/ das von dem geringen noch etwas uͤbrig bleibet/ wie ſolte man dann nicht ge- ſtehen/ daß dieſes/ was feſter und beſtaͤndiger iſt/ e- ben ſo wol uͤbrig bleiben ſolle. Betrachte nun/ von was fuͤr Wichtigkeit die Antwort ſey/ welche ich darauf gebe. Jch muß aber beſſeres Verſtandes halber/ wie Simias mich eines Gleichniſſes ge- brauchen. Mich beduͤnckt/ daß dieſes ſich eben ſo verhaͤlt/ als wann man nach dem Tode eines alten Webers ſagen ſolte/ dieſer Mann iſt noch/ dieweil das Kleid/ ſo er hatte/ noch uͤbrig iſt/ und zu beſſerer Beſtaͤrckung noch dazu thaͤte/ daß/ weil ein Menſch laͤnger als ein leinen Kleid wehret/ ſo muß es noth- wendigfolgen/ dafern das Kleid nach des Webers Tode verbleibet/ der Weber auch/ weil er werhaf- tiger als ſein Kleid iſt/ verbleiben muͤſſe. Mich beduͤncket Simias/ daß dieſes alles nicht beſtehet/ und das wenig Leute mit dem angefuͤhrten Beweiß wuͤrden zu frieden ſeyn. Dann der Weber/ ſo viel Kleider wird verſchleiſſen/ und viel gewircket ha- ben/ iſt nach Verſchleiſſung vieler Kleider/ und nur eher als eines unter denſelben geſtorben; Daraus aber erfolget keines weges/ daß der Menſch etwas geringers und vergaͤnglichers als ein Kleid ſey. Man kan nun/ meinem Erachten nach/ zwiſchen der Seele/ und dem Leibe/ ſo ſchwaͤcher und zubrechli- cher iſt/ eine gleichmaͤßige Vergleichung machen/ daß nemlich ein iedweder Seele viel lieber verſchleiſt dann E 5

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/hofmannswaldau_uebersetzungen_1679
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/hofmannswaldau_uebersetzungen_1679/325
Zitationshilfe: Hofmann von Hofmannswaldau, Christian: Deutsche Ubersetzungen und Gedichte. Breslau, 1679, S. 67. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/hofmannswaldau_uebersetzungen_1679/325>, abgerufen am 23.11.2024.