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Hofmann von Hofmannswaldau, Christian: Deutsche Ubersetzungen und Gedichte. Breslau, 1679.

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Der sterbende
es geschiehet/ so würde gewiß daraus folgen/ daß
wir mit der Wissenschafft gebohren wären/ und daß
wir/ weil unser Lebenslauff wäret/ dieselbe allezeit
in dem Gedächtniß hielten. Denn Vergessenheit
ist nichts anders als Verlust der Wissenschafft. So
es aber dann so ist/ daß wir nach der Geburt unsere
Wissenschafft verliehren/ und hernachmals ver-
möge der Sinnen diese Wissenschafft wiederum er-
werben/ welches wir Lernen heissen; ist es denn
nun nicht unser eigen Wissen/ so uns vor der Geburt
beygewohnet/ wieder erlangen? Soll man dann
diese Erstattung nicht eine Erinnerung nennen?
Dann es geschiehet/ wie wir allbereit gesaget ha-
ben/ daß man bißweilen bey Anschau- oder Anhö-
rung einer Sache/ ihm offt eine andere/ so sich die-
ser gleichet oder nicht gleichet/ einbildet/ welches
man dann erinnert heisset. So muß nun nothwen-
dig unter den zweyen eines seyn/ entweder daß wir
die Wissenschafft mit auf die Welt bringen/ und
dieselbe steiff und fest behalten/ oder daß dieses/ was
wir lernen/ angedencken heisse/ und alle unsere Wis-
senschafft nur eine blosse Erinnerung sey. Und
welches unter zweyen getrauest du dir wol am mei-
sten zu behaupten/ daß wir die Wissenschafft mit
auf die Welt bringen/ oder daß wir uns nachmals
des jenigen/ was wir zuvor gewust/ erinnern. Jch
weiß nicht/ antwortete Simias/ welches ich unter
diesen wol erwehlen soll/ und köntest du uns dann
nicht offenbaren/ welches wol das beste seyn möge.
Wie dann/ sagte Socrates/ solte ein weiser Mann
nicht
Der ſterbende
es geſchiehet/ ſo wuͤrde gewiß daraus folgen/ daß
wir mit der Wiſſenſchafft gebohren waͤren/ und daß
wir/ weil unſer Lebenslauff waͤret/ dieſelbe allezeit
in dem Gedaͤchtniß hielten. Denn Vergeſſenheit
iſt nichts anders als Verluſt der Wiſſenſchafft. So
es aber dann ſo iſt/ daß wir nach der Geburt unſere
Wiſſenſchafft verliehren/ und hernachmals ver-
moͤge der Sinnen dieſe Wiſſenſchafft wiederum er-
werben/ welches wir Lernen heiſſen; iſt es denn
nun nicht unſer eigen Wiſſen/ ſo uns vor der Geburt
beygewohnet/ wieder erlangen? Soll man dann
dieſe Erſtattung nicht eine Erinnerung nennen?
Dann es geſchiehet/ wie wir allbereit geſaget ha-
ben/ daß man bißweilen bey Anſchau- oder Anhoͤ-
rung einer Sache/ ihm offt eine andere/ ſo ſich die-
ſer gleichet oder nicht gleichet/ einbildet/ welches
man dann erinnert heiſſet. So muß nun nothwen-
dig unter den zweyen eines ſeyn/ entweder daß wir
die Wiſſenſchafft mit auf die Welt bringen/ und
dieſelbe ſteiff und feſt behalten/ oder daß dieſes/ was
wir lernen/ angedencken heiſſe/ und alle unſere Wiſ-
ſenſchafft nur eine bloſſe Erinnerung ſey. Und
welches unter zweyen getraueſt du dir wol am mei-
ſten zu behaupten/ daß wir die Wiſſenſchafft mit
auf die Welt bringen/ oder daß wir uns nachmals
des jenigen/ was wir zuvor gewuſt/ erinnern. Jch
weiß nicht/ antwortete Simias/ welches ich unter
dieſen wol erwehlen ſoll/ und koͤnteſt du uns dann
nicht offenbaren/ welches wol das beſte ſeyn moͤge.
Wie dann/ ſagte Socrates/ ſolte ein weiſer Mann
nicht
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[42/0300] Der ſterbende es geſchiehet/ ſo wuͤrde gewiß daraus folgen/ daß wir mit der Wiſſenſchafft gebohren waͤren/ und daß wir/ weil unſer Lebenslauff waͤret/ dieſelbe allezeit in dem Gedaͤchtniß hielten. Denn Vergeſſenheit iſt nichts anders als Verluſt der Wiſſenſchafft. So es aber dann ſo iſt/ daß wir nach der Geburt unſere Wiſſenſchafft verliehren/ und hernachmals ver- moͤge der Sinnen dieſe Wiſſenſchafft wiederum er- werben/ welches wir Lernen heiſſen; iſt es denn nun nicht unſer eigen Wiſſen/ ſo uns vor der Geburt beygewohnet/ wieder erlangen? Soll man dann dieſe Erſtattung nicht eine Erinnerung nennen? Dann es geſchiehet/ wie wir allbereit geſaget ha- ben/ daß man bißweilen bey Anſchau- oder Anhoͤ- rung einer Sache/ ihm offt eine andere/ ſo ſich die- ſer gleichet oder nicht gleichet/ einbildet/ welches man dann erinnert heiſſet. So muß nun nothwen- dig unter den zweyen eines ſeyn/ entweder daß wir die Wiſſenſchafft mit auf die Welt bringen/ und dieſelbe ſteiff und feſt behalten/ oder daß dieſes/ was wir lernen/ angedencken heiſſe/ und alle unſere Wiſ- ſenſchafft nur eine bloſſe Erinnerung ſey. Und welches unter zweyen getraueſt du dir wol am mei- ſten zu behaupten/ daß wir die Wiſſenſchafft mit auf die Welt bringen/ oder daß wir uns nachmals des jenigen/ was wir zuvor gewuſt/ erinnern. Jch weiß nicht/ antwortete Simias/ welches ich unter dieſen wol erwehlen ſoll/ und koͤnteſt du uns dann nicht offenbaren/ welches wol das beſte ſeyn moͤge. Wie dann/ ſagte Socrates/ ſolte ein weiſer Mann nicht

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Zitationshilfe: Hofmann von Hofmannswaldau, Christian: Deutsche Ubersetzungen und Gedichte. Breslau, 1679, S. 42. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/hofmannswaldau_uebersetzungen_1679/300>, abgerufen am 23.11.2024.