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Hofmann von Hofmannswaldau, Christian: Deutsche Ubersetzungen und Gedichte. Breslau, 1679.

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Der sterbende
Sie hielt den Sohn des Socrates in Armen/
Und predigt' ihm vom schläfrigen Erbarmen/
Als welcher nicht vor dieser letzten Fahrt
Ein Seuffzerlein zu dem Gedächtniß ward.
Mein werther Mann begunte sie zu sagen
Ach würden wir zugleiche hingetragen/
Ach weh! wann dir die allzulange Ruh/
Das reine Licht der Augen drücket zu/
So wirst du denn bey des Cocytus Flüssen/
Gar schlechten Schein der Liebligkeit geniessen;
Und wären wir gleich allesambt um dich/
So kentest du die Freunde gleich wie mich.

Socrates den der Abschied und die Wehmuth
der Seinigen/ wenig zu Hertzen gieng/ ließ sich die
traurigen Geberden seiner Frauen nicht sonderlich
anfechten/ wie er denn auch alsobald zu den Um-
stehenden sagte: Jch bitte euch/ führet mir dieses
Weib nach Hause/ in welchem ihm unverzüglich ei-
ner von des Critons Leuten zu gebote stand/ und sie
in ihre wohnung begleitete.

Drauf satzt er sich/ es ruhte Geist und Hertz/
Sein gleicher Muth/ sein Reden-voller Schertz/
Die wolten uns fast eine Lust erregen
Mit ihm zu gehn auf seinen bleichen Wegen.
Denselben Augenblick als man ihm die Fessel
abgethan/ so fuhr er mit der Hand über die La-
schen/ so ihn vortreflich juckten/ wie er nun nicht we-
nig Linderung und Anmuth daraus verspürte/ so
sagte er:

Betrachtet doch wie keine Noth entsteht/
Da nicht die Lust bald auf den Schmertzen geht/
Die Lieblichkeit wächst aus den schweren Banden/
Und diese Lust ist aus der Pein entstanden.
Wie

Der ſterbende
Sie hielt den Sohn des Socrates in Armen/
Und predigt’ ihm vom ſchlaͤfrigen Erbarmen/
Als welcher nicht vor dieſer letzten Fahrt
Ein Seuffzerlein zu dem Gedaͤchtniß ward.
Mein werther Mann begunte ſie zu ſagen
Ach wuͤrden wir zugleiche hingetragen/
Ach weh! wann dir die allzulange Ruh/
Das reine Licht der Augen druͤcket zu/
So wirſt du denn bey des Cocytus Fluͤſſen/
Gar ſchlechten Schein der Liebligkeit genieſſen;
Und waͤren wir gleich alleſambt um dich/
So kenteſt du die Freunde gleich wie mich.

Socrates den der Abſchied und die Wehmuth
der Seinigen/ wenig zu Hertzen gieng/ ließ ſich die
traurigen Geberden ſeiner Frauen nicht ſonderlich
anfechten/ wie er denn auch alſobald zu den Um-
ſtehenden ſagte: Jch bitte euch/ fuͤhret mir dieſes
Weib nach Hauſe/ in welchem ihm unverzuͤglich ei-
ner von des Critons Leuten zu gebote ſtand/ und ſie
in ihre wohnung begleitete.

Drauf ſatzt er ſich/ es ruhte Geiſt und Hertz/
Sein gleicher Muth/ ſein Reden-voller Schertz/
Die wolten uns faſt eine Luſt erregen
Mit ihm zu gehn auf ſeinen bleichen Wegen.
Denſelben Augenblick als man ihm die Feſſel
abgethan/ ſo fuhr er mit der Hand uͤber die La-
ſchen/ ſo ihn vortreflich juckten/ wie er nun nicht we-
nig Linderung und Anmuth daraus verſpuͤrte/ ſo
ſagte er:

Betrachtet doch wie keine Noth entſteht/
Da nicht die Luſt bald auf den Schmertzen geht/
Die Lieblichkeit waͤchſt aus den ſchweren Banden/
Und dieſe Luſt iſt aus der Pein entſtanden.
Wie
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[4/0262] Der ſterbende Sie hielt den Sohn des Socrates in Armen/ Und predigt’ ihm vom ſchlaͤfrigen Erbarmen/ Als welcher nicht vor dieſer letzten Fahrt Ein Seuffzerlein zu dem Gedaͤchtniß ward. Mein werther Mann begunte ſie zu ſagen Ach wuͤrden wir zugleiche hingetragen/ Ach weh! wann dir die allzulange Ruh/ Das reine Licht der Augen druͤcket zu/ So wirſt du denn bey des Cocytus Fluͤſſen/ Gar ſchlechten Schein der Liebligkeit genieſſen; Und waͤren wir gleich alleſambt um dich/ So kenteſt du die Freunde gleich wie mich. Socrates den der Abſchied und die Wehmuth der Seinigen/ wenig zu Hertzen gieng/ ließ ſich die traurigen Geberden ſeiner Frauen nicht ſonderlich anfechten/ wie er denn auch alſobald zu den Um- ſtehenden ſagte: Jch bitte euch/ fuͤhret mir dieſes Weib nach Hauſe/ in welchem ihm unverzuͤglich ei- ner von des Critons Leuten zu gebote ſtand/ und ſie in ihre wohnung begleitete. Drauf ſatzt er ſich/ es ruhte Geiſt und Hertz/ Sein gleicher Muth/ ſein Reden-voller Schertz/ Die wolten uns faſt eine Luſt erregen Mit ihm zu gehn auf ſeinen bleichen Wegen. Denſelben Augenblick als man ihm die Feſſel abgethan/ ſo fuhr er mit der Hand uͤber die La- ſchen/ ſo ihn vortreflich juckten/ wie er nun nicht we- nig Linderung und Anmuth daraus verſpuͤrte/ ſo ſagte er: Betrachtet doch wie keine Noth entſteht/ Da nicht die Luſt bald auf den Schmertzen geht/ Die Lieblichkeit waͤchſt aus den ſchweren Banden/ Und dieſe Luſt iſt aus der Pein entſtanden. Wie

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Zitationshilfe: Hofmann von Hofmannswaldau, Christian: Deutsche Ubersetzungen und Gedichte. Breslau, 1679, S. 4. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/hofmannswaldau_uebersetzungen_1679/262>, abgerufen am 24.11.2024.