Hofmannsthal, Hugo von: Tod des Tizian. Berlin, 1902.
Den Garten, den der Meister liess erbauen, Darum durch üppig blumendes Geranke Soll man das Aussen ahnen mehr als schauen. Paris, ebenso: Das ist die Lehre der verschlungnen Gänge. Batista, ebenso: Das ist die grosse Kunst des Hintergrundes Und das Geheimnis zweifelhafter Lichter. Tizianello, mit geschlossenen Augen: Das macht so schön die halbverwehten Klänge, So schön die dunklen Worte toter Dichter Und alle Dinge, denen wir entsagen. Paris: Das ist der Zauber auf versunknen Tagen Und ist der Quell des grenzenlosen Schönen, Denn wir ersticken, wo wir uns gewöhnen. Alle verstummen. Pause. Tizianello weint leise vor sich hin. Gianino, schmeichelnd: Du darfst dich nicht so trostlos drein versenken, Nicht unaufhörlich an das Eine denken. Tizianello, traurig lächelnd: Als ob der Schmerz denn etwas andres wär Als dieses ewige dran-denken-müssen, Bis es am Ende farblos wird und leer ... So lass mich nur in den Gedanken wühlen, Denn von den Leiden und von den Genüssen Hab längst ich abgestreift das bunte Kleid,
Den Garten, den der Meister liess erbauen, Darum durch üppig blumendes Geranke Soll man das Aussen ahnen mehr als schauen. Paris, ebenso: Das ist die Lehre der verschlungnen Gänge. Batista, ebenso: Das ist die grosse Kunst des Hintergrundes Und das Geheimnis zweifelhafter Lichter. Tizianello, mit geschlossenen Augen: Das macht so schön die halbverwehten Klänge, So schön die dunklen Worte toter Dichter Und alle Dinge, denen wir entsagen. Paris: Das ist der Zauber auf versunknen Tagen Und ist der Quell des grenzenlosen Schönen, Denn wir ersticken, wo wir uns gewöhnen. Alle verstummen. Pause. Tizianello weint leise vor sich hin. Gianino, schmeichelnd: Du darfst dich nicht so trostlos drein versenken, Nicht unaufhörlich an das Eine denken. Tizianello, traurig lächelnd: Als ob der Schmerz denn etwas andres wär Als dieses ewige dran-denken-müssen, Bis es am Ende farblos wird und leer … So lass mich nur in den Gedanken wühlen, Denn von den Leiden und von den Genüssen Hab längst ich abgestreift das bunte Kleid, <TEI> <text> <body> <sp who="#ANT"> <p><pb facs="#f0024" n="16"/> Den Garten, den der Meister liess erbauen,<lb/> Darum durch üppig blumendes Geranke<lb/> Soll man das Aussen ahnen mehr als schauen.</p> </sp><lb/> <sp who="#PAR"> <speaker> <hi rendition="#g">Paris,</hi> </speaker> <stage>ebenso:</stage><lb/> <p>Das ist die Lehre der verschlungnen Gänge.</p> </sp><lb/> <sp who="#BAT"> <speaker> <hi rendition="#g">Batista,</hi> </speaker> <stage>ebenso:</stage><lb/> <p>Das ist die grosse Kunst des Hintergrundes<lb/> Und das Geheimnis zweifelhafter Lichter.</p> </sp><lb/> <sp who="#TIZI"> <speaker> <hi rendition="#g">Tizianello,</hi> </speaker> <stage>mit geschlossenen Augen:</stage><lb/> <p>Das macht so schön die halbverwehten Klänge,<lb/> So schön die dunklen Worte toter Dichter<lb/> Und alle Dinge, denen wir entsagen.</p> </sp><lb/> <sp who="#PAR"> <speaker> <hi rendition="#g">Paris:</hi> </speaker> <p>Das ist der Zauber auf versunknen Tagen<lb/> Und ist der Quell des grenzenlosen Schönen,<lb/> Denn wir ersticken, wo wir uns gewöhnen.</p> </sp><lb/> <stage>Alle verstummen. Pause. Tizianello weint leise vor sich hin.</stage><lb/> <sp who="#GIA"> <speaker> <hi rendition="#g">Gianino,</hi> </speaker> <stage>schmeichelnd:</stage><lb/> <p>Du darfst dich nicht so trostlos drein versenken,<lb/> Nicht unaufhörlich an das Eine denken.</p> </sp><lb/> <sp who="#TIZI"> <speaker> <hi rendition="#g">Tizianello,</hi> </speaker> <stage>traurig lächelnd:</stage><lb/> <p>Als ob der Schmerz denn etwas andres wär<lb/> Als dieses ewige dran-denken-müssen,<lb/> Bis es am Ende farblos wird und leer …<lb/> So lass mich nur in den Gedanken wühlen,<lb/> Denn von den Leiden und von den Genüssen<lb/> Hab längst ich abgestreift das bunte Kleid,<lb/></p> </sp> </body> </text> </TEI> [16/0024]
Den Garten, den der Meister liess erbauen,
Darum durch üppig blumendes Geranke
Soll man das Aussen ahnen mehr als schauen.
Paris, ebenso:
Das ist die Lehre der verschlungnen Gänge.
Batista, ebenso:
Das ist die grosse Kunst des Hintergrundes
Und das Geheimnis zweifelhafter Lichter.
Tizianello, mit geschlossenen Augen:
Das macht so schön die halbverwehten Klänge,
So schön die dunklen Worte toter Dichter
Und alle Dinge, denen wir entsagen.
Paris: Das ist der Zauber auf versunknen Tagen
Und ist der Quell des grenzenlosen Schönen,
Denn wir ersticken, wo wir uns gewöhnen.
Alle verstummen. Pause. Tizianello weint leise vor sich hin.
Gianino, schmeichelnd:
Du darfst dich nicht so trostlos drein versenken,
Nicht unaufhörlich an das Eine denken.
Tizianello, traurig lächelnd:
Als ob der Schmerz denn etwas andres wär
Als dieses ewige dran-denken-müssen,
Bis es am Ende farblos wird und leer …
So lass mich nur in den Gedanken wühlen,
Denn von den Leiden und von den Genüssen
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Zitationshilfe: | Hofmannsthal, Hugo von: Tod des Tizian. Berlin, 1902, S. 16. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/hofmannsthal_tizian_1901/24>, abgerufen am 08.07.2024. |