Hofmannswaldau, Christian Hofmann von: Herrn von Hofmannswaldau und andrer Deutschen auserlesene und bißher ungedruckte Gedichte. Bd. 6. Leipzig, 1709.Leanders aus Schlesien 4. Man schwatzt wohl vom gelücke,Und schreibet uns viel weg und mittel für; Allein der meister selbst weicht von der bahn zurücke: Und die vergnügung kennt nur wörter und papier. Denn ob ihr schatten gleich die lippen eingenommen; So ist ihr wesen doch nicht in das hertze kommen. 5. Die nelcken werden nesseln:Der perlen pracht verwandelt sich in sand: Die freyheit will uns selbst in enge bande fesseln: Nichts ist beständiger, als angst und unbestand. Die sonnen kommen uns geschwind aus dem gefichte; Die wolcken aber macht nicht bald ein stern zunichte. 6. Des menschen gantzes wesenJst durch und durch mit unruh angefüllt: Man kan das ungelück auf allen gliedern lesen, Weil nichts zugegen ist, was die begierden stillt. Denn wenn ihm fuß und hand schon alles vorgenommen: So hat das hertze doch noch keine ruh bekommen. 7. Das auge mag fich sehnen,Und unser mund nach der vergnügung schreyn. Die sehn-sucht badet sich gemeiniglich in thränen, Und ein vergebnes wort bringt nichts als seufftzer ein. Die lippen werden zwar von langem klagen müde; Doch diese mattigkeit ist noch kein hertzens-friede. 8. Die ängstlichen gedanckenVerlassen uns auch in dem schlafe nicht. Der menschen ungelück ist ausser allen schrancken, Weil weder tag noch nacht sein wüten unterbricht. Die unruh, die uns plagt, ist allezeit daheime: Und quält das wachen nicht; so schrecken doch die träume. 9. Kommt
Leanders aus Schleſien 4. Man ſchwatzt wohl vom geluͤcke,Und ſchreibet uns viel weg und mittel fuͤr; Allein der meiſter ſelbſt weicht von der bahn zuruͤcke: Und die vergnuͤgung kennt nur woͤrter und papier. Denn ob ihr ſchatten gleich die lippen eingenommen; So iſt ihr weſen doch nicht in das hertze kommen. 5. Die nelcken werden neſſeln:Der perlen pracht verwandelt ſich in ſand: Die freyheit will uns ſelbſt in enge bande feſſeln: Nichts iſt beſtaͤndiger, als angſt und unbeſtand. Die ſonnen kommen uns geſchwind aus dem gefichte; Die wolcken aber macht nicht bald ein ſtern zunichte. 6. Des menſchen gantzes weſenJſt durch und durch mit unruh angefuͤllt: Man kan das ungeluͤck auf allen gliedern leſen, Weil nichts zugegen iſt, was die begierden ſtillt. Denn wenn ihm fuß und hand ſchon alles vorgenommen: So hat das hertze doch noch keine ruh bekommen. 7. Das auge mag fich ſehnen,Und unſer mund nach der vergnuͤgung ſchreyn. Die ſehn-ſucht badet ſich gemeiniglich in thraͤnen, Und ein vergebnes wort bringt nichts als ſeufftzer ein. Die lippen werden zwar von langem klagen muͤde; Doch dieſe mattigkeit iſt noch kein hertzens-friede. 8. Die aͤngſtlichen gedanckenVerlaſſen uns auch in dem ſchlafe nicht. Der menſchen ungeluͤck iſt auſſer allen ſchrancken, Weil weder tag noch nacht ſein wuͤten unterbricht. Die unruh, die uns plagt, iſt allezeit daheime: Und quaͤlt das wachen nicht; ſo ſchrecken doch die traͤume. 9. Kommt
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Leanders aus Schleſien
4.
Man ſchwatzt wohl vom geluͤcke,
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Allein der meiſter ſelbſt weicht von der bahn zuruͤcke:
Und die vergnuͤgung kennt nur woͤrter und papier.
Denn ob ihr ſchatten gleich die lippen eingenommen;
So iſt ihr weſen doch nicht in das hertze kommen.
5.
Die nelcken werden neſſeln:
Der perlen pracht verwandelt ſich in ſand:
Die freyheit will uns ſelbſt in enge bande feſſeln:
Nichts iſt beſtaͤndiger, als angſt und unbeſtand.
Die ſonnen kommen uns geſchwind aus dem gefichte;
Die wolcken aber macht nicht bald ein ſtern zunichte.
6.
Des menſchen gantzes weſen
Jſt durch und durch mit unruh angefuͤllt:
Man kan das ungeluͤck auf allen gliedern leſen,
Weil nichts zugegen iſt, was die begierden ſtillt.
Denn wenn ihm fuß und hand ſchon alles vorgenommen:
So hat das hertze doch noch keine ruh bekommen.
7.
Das auge mag fich ſehnen,
Und unſer mund nach der vergnuͤgung ſchreyn.
Die ſehn-ſucht badet ſich gemeiniglich in thraͤnen,
Und ein vergebnes wort bringt nichts als ſeufftzer ein.
Die lippen werden zwar von langem klagen muͤde;
Doch dieſe mattigkeit iſt noch kein hertzens-friede.
8.
Die aͤngſtlichen gedancken
Verlaſſen uns auch in dem ſchlafe nicht.
Der menſchen ungeluͤck iſt auſſer allen ſchrancken,
Weil weder tag noch nacht ſein wuͤten unterbricht.
Die unruh, die uns plagt, iſt allezeit daheime:
Und quaͤlt das wachen nicht; ſo ſchrecken doch die traͤume.
9. Kommt
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