Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Hofmannswaldau, Christian Hofmann von: Herrn von Hofmannswaldau und andrer Deutschen auserlesene und bißher ungedruckte Gedichte. Bd. 5. Leipzig, 1710.

Bild:
<< vorherige Seite
Leanders aus Schlesien
* *
DEr menschliche verstand hat allzuenge grentzen:
So lang' er auch studiert, so scharff er immer ist,
So hat er dennoch nie den festen grund erkiest;
Es will der wahrheit licht in dieser nacht nicht gläntzen.
Die rarste wissenschafft, so wie cometen sternt,
Jst weit gefährlicher, als wenn man nichts studieret.
Die tieffen labyrinth', in welche sie uns führet,
Sind zeugen, daß sie uns offt nichts als zweiffeln lernt.


Aria.
Als ihm seine Daphne gestorben.
Leander.
1.
JHr vergnügten stunden!
Wo seyd, wo seyd ihr hin?
Ach ihr bleibt verschwunden,
Nun ich verlassen bin.
Meinen Schatz, ach herbe noth!
Umfaßt der kalte tod.
2.
Fließt, ihr milden thränen!
Mein Schatz ist ihrer werth.
Zeigt das bange sehnen,
So mich itzund verzehrt:
Zeigt, daß meine lieb' und tren
Noch ungestorben sey.
3.
Was mich nie betrübet,
Macht mich nun stets betrübt,
Was mich treu geliebet,
Und ich auch treu geliebt,
Stirbt
Leanders aus Schleſien
* *
DEr menſchliche verſtand hat allzuenge grentzen:
So lang’ er auch ſtudiert, ſo ſcharff er immer iſt,
So hat er dennoch nie den feſten grund erkieſt;
Es will der wahrheit licht in dieſer nacht nicht glaͤntzen.
Die rarſte wiſſenſchafft, ſo wie cometen ſternt,
Jſt weit gefaͤhrlicher, als wenn man nichts ſtudieret.
Die tieffen labyrinth’, in welche ſie uns fuͤhret,
Sind zeugen, daß ſie uns offt nichts als zweiffeln lernt.


Aria.
Als ihm ſeine Daphne geſtorben.
Leander.
1.
JHr vergnuͤgten ſtunden!
Wo ſeyd, wo ſeyd ihr hin?
Ach ihr bleibt verſchwunden,
Nun ich verlaſſen bin.
Meinen Schatz, ach herbe noth!
Umfaßt der kalte tod.
2.
Fließt, ihr milden thraͤnen!
Mein Schatz iſt ihrer werth.
Zeigt das bange ſehnen,
So mich itzund verzehrt:
Zeigt, daß meine lieb’ und tren
Noch ungeſtorben ſey.
3.
Was mich nie betruͤbet,
Macht mich nun ſtets betruͤbt,
Was mich treu geliebet,
Und ich auch treu geliebt,
Stirbt
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <pb facs="#f0304" n="302"/>
        <fw place="top" type="header"> <hi rendition="#fr">Leanders aus Schle&#x017F;ien</hi> </fw><lb/>
        <lg type="poem">
          <head> <hi rendition="#c">* *</hi> </head><lb/>
          <l><hi rendition="#in">D</hi>Er men&#x017F;chliche ver&#x017F;tand hat allzuenge grentzen:</l><lb/>
          <l>So lang&#x2019; er auch &#x017F;tudiert, &#x017F;o &#x017F;charff er immer i&#x017F;t,</l><lb/>
          <l>So hat er dennoch nie den fe&#x017F;ten grund erkie&#x017F;t;</l><lb/>
          <l>Es will der wahrheit licht in die&#x017F;er nacht nicht gla&#x0364;ntzen.</l><lb/>
          <l>Die rar&#x017F;te wi&#x017F;&#x017F;en&#x017F;chafft, &#x017F;o wie cometen &#x017F;ternt,</l><lb/>
          <l>J&#x017F;t weit gefa&#x0364;hrlicher, als wenn man nichts &#x017F;tudieret.</l><lb/>
          <l>Die tieffen labyrinth&#x2019;, in welche &#x017F;ie uns fu&#x0364;hret,</l><lb/>
          <l>Sind zeugen, daß &#x017F;ie uns offt nichts als zweiffeln lernt.</l>
        </lg><lb/>
        <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/>
        <lg type="poem">
          <head> <hi rendition="#c"> <hi rendition="#fr">Aria.<lb/>
Als ihm &#x017F;eine Daphne ge&#x017F;torben.<lb/>
Leander.</hi> </hi> </head><lb/>
          <lg n="1">
            <head> <hi rendition="#c">1.</hi> </head><lb/>
            <l><hi rendition="#in">J</hi>Hr vergnu&#x0364;gten &#x017F;tunden!</l><lb/>
            <l>Wo &#x017F;eyd, wo &#x017F;eyd ihr hin?</l><lb/>
            <l>Ach ihr bleibt ver&#x017F;chwunden,</l><lb/>
            <l>Nun ich verla&#x017F;&#x017F;en bin.</l><lb/>
            <l>Meinen Schatz, ach herbe noth!</l><lb/>
            <l>Umfaßt der kalte tod.</l>
          </lg><lb/>
          <lg n="2">
            <head> <hi rendition="#c">2.</hi> </head><lb/>
            <l>Fließt, ihr milden thra&#x0364;nen!</l><lb/>
            <l>Mein Schatz i&#x017F;t ihrer werth.</l><lb/>
            <l>Zeigt das bange &#x017F;ehnen,</l><lb/>
            <l>So mich itzund verzehrt:</l><lb/>
            <l>Zeigt, daß meine lieb&#x2019; und tren</l><lb/>
            <l>Noch unge&#x017F;torben &#x017F;ey.</l>
          </lg><lb/>
          <lg n="3">
            <head> <hi rendition="#c">3.</hi> </head><lb/>
            <l>Was mich nie betru&#x0364;bet,</l><lb/>
            <l>Macht mich nun &#x017F;tets betru&#x0364;bt,</l><lb/>
            <l>Was mich treu geliebet,</l><lb/>
            <l>Und ich auch treu geliebt,</l><lb/>
            <fw place="bottom" type="catch">Stirbt</fw><lb/>
          </lg>
        </lg>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[302/0304] Leanders aus Schleſien * * DEr menſchliche verſtand hat allzuenge grentzen: So lang’ er auch ſtudiert, ſo ſcharff er immer iſt, So hat er dennoch nie den feſten grund erkieſt; Es will der wahrheit licht in dieſer nacht nicht glaͤntzen. Die rarſte wiſſenſchafft, ſo wie cometen ſternt, Jſt weit gefaͤhrlicher, als wenn man nichts ſtudieret. Die tieffen labyrinth’, in welche ſie uns fuͤhret, Sind zeugen, daß ſie uns offt nichts als zweiffeln lernt. Aria. Als ihm ſeine Daphne geſtorben. Leander. 1. JHr vergnuͤgten ſtunden! Wo ſeyd, wo ſeyd ihr hin? Ach ihr bleibt verſchwunden, Nun ich verlaſſen bin. Meinen Schatz, ach herbe noth! Umfaßt der kalte tod. 2. Fließt, ihr milden thraͤnen! Mein Schatz iſt ihrer werth. Zeigt das bange ſehnen, So mich itzund verzehrt: Zeigt, daß meine lieb’ und tren Noch ungeſtorben ſey. 3. Was mich nie betruͤbet, Macht mich nun ſtets betruͤbt, Was mich treu geliebet, Und ich auch treu geliebt, Stirbt

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/hoffmannswaldau_gedichte05_1710
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/hoffmannswaldau_gedichte05_1710/304
Zitationshilfe: Hofmannswaldau, Christian Hofmann von: Herrn von Hofmannswaldau und andrer Deutschen auserlesene und bißher ungedruckte Gedichte. Bd. 5. Leipzig, 1710, S. 302. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/hoffmannswaldau_gedichte05_1710/304>, abgerufen am 24.11.2024.