Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Hofmannswaldau, Christian Hofmann von: Herrn von Hofmannswaldau und andrer Deutschen auserlesene und bißher ungedruckte Gedichte. Bd. 5. Leipzig, 1710.

Bild:
<< vorherige Seite
Vermischte Gedichte.
Er kommt mit dir zur welt; Das allererste licht
Schleppt seinen schatten nach: Sein arm, der alles zwinget,
Macht, daß dein hochmuth ihm beständig zinsen muß.
Der mensch hat, eh er stirbt, zu sterben angefangen:
Der letzte stos, wodurch wir in die grufft gelangen,
Jst wahrlich nicht der tod; es ist nur sein beschluß.


* *
AUswürffe der natur! ihr unbeseelten stücke,
Jst euer glücke nicht des grösten neides werth?
Die zeit, die alles sonst verschlimmert und verzehrt,
Erwirbet euch, nicht uns, das schätzbarste gelücke.
Was hebt man theurer auf, als einen alten stein?
Der schnelle wandrer bleibt bey schutt und grause stehen:
Ein halb vermodert bild läst ihn so bald nicht gehen;
Und unser alter trägt nichts als verachtung ein.


* *
WAs hilfft der hohe witz, damit dein ehrgeitz stutzet?
Gesetzt, daß du, o mensch! der klüffte grund durch-
rennst,
Die kräffte der natur, der länder sitten kennst,
Und alles inne hast, was großen höfen nutzet.
Gesetzt: daß dein verstand biß in den himmel steigt,
Und in der monden-welt die bürger kennen lernet;
Es bleibt die weisheit doch noch weit von dir entfernet,
Weil keine wissenschafft dir deine thorheit zeigt.


* *
DIe armuth bringt zwar angst; doch hat sie auch vergnü-
get.
Jch gebe gerne zu: da, wo sie eingekehrt,
Verbleibt kein schmeichler mehr: die stube wird geleert:
Lust, pracht und ansehn flieht: was sich zuvor geschmieget,
Em-
T 5
Vermiſchte Gedichte.
Er kommt mit dir zur welt; Das allererſte licht
Schleppt ſeinen ſchatten nach: Sein arm, der alles zwinget,
Macht, daß dein hochmuth ihm beſtaͤndig zinſen muß.
Der menſch hat, eh er ſtirbt, zu ſterben angefangen:
Der letzte ſtos, wodurch wir in die grufft gelangen,
Jſt wahrlich nicht der tod; es iſt nur ſein beſchluß.


* *
AUswuͤrffe der natur! ihr unbeſeelten ſtuͤcke,
Jſt euer gluͤcke nicht des groͤſten neides werth?
Die zeit, die alles ſonſt verſchlimmert und verzehrt,
Erwirbet euch, nicht uns, das ſchaͤtzbarſte geluͤcke.
Was hebt man theurer auf, als einen alten ſtein?
Der ſchnelle wandrer bleibt bey ſchutt und grauſe ſtehen:
Ein halb vermodert bild laͤſt ihn ſo bald nicht gehen;
Und unſer alter traͤgt nichts als verachtung ein.


* *
WAs hilfft der hohe witz, damit dein ehrgeitz ſtutzet?
Geſetzt, daß du, o menſch! der kluͤffte grund durch-
rennſt,
Die kraͤffte der natur, der laͤnder ſitten kennſt,
Und alles inne haſt, was großen hoͤfen nutzet.
Geſetzt: daß dein verſtand biß in den himmel ſteigt,
Und in der monden-welt die buͤrger kennen lernet;
Es bleibt die weisheit doch noch weit von dir entfernet,
Weil keine wiſſenſchafft dir deine thorheit zeigt.


* *
DIe armuth bringt zwar angſt; doch hat ſie auch vergnuͤ-
get.
Jch gebe gerne zu: da, wo ſie eingekehrt,
Verbleibt kein ſchmeichler mehr: die ſtube wird geleert:
Luſt, pracht und anſehn flieht: was ſich zuvor geſchmieget,
Em-
T 5
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <lg type="poem">
          <pb facs="#f0299" n="297"/>
          <fw place="top" type="header"> <hi rendition="#b">Vermi&#x017F;chte Gedichte.</hi> </fw><lb/>
          <l>Er kommt mit dir zur welt; Das allerer&#x017F;te licht</l><lb/>
          <l>Schleppt &#x017F;einen &#x017F;chatten nach: Sein arm, der alles zwinget,</l><lb/>
          <l>Macht, daß dein hochmuth ihm be&#x017F;ta&#x0364;ndig zin&#x017F;en muß.</l><lb/>
          <l>Der men&#x017F;ch hat, eh er &#x017F;tirbt, zu &#x017F;terben angefangen:</l><lb/>
          <l>Der letzte &#x017F;tos, wodurch wir in die grufft gelangen,</l><lb/>
          <l>J&#x017F;t wahrlich nicht der tod; es i&#x017F;t nur &#x017F;ein be&#x017F;chluß.</l>
        </lg><lb/>
        <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/>
        <lg type="poem">
          <head> <hi rendition="#c">* *</hi> </head><lb/>
          <l><hi rendition="#in">A</hi>Uswu&#x0364;rffe der natur! ihr unbe&#x017F;eelten &#x017F;tu&#x0364;cke,</l><lb/>
          <l>J&#x017F;t euer glu&#x0364;cke nicht des gro&#x0364;&#x017F;ten neides werth?</l><lb/>
          <l>Die zeit, die alles &#x017F;on&#x017F;t ver&#x017F;chlimmert und verzehrt,</l><lb/>
          <l>Erwirbet euch, nicht uns, das &#x017F;cha&#x0364;tzbar&#x017F;te gelu&#x0364;cke.</l><lb/>
          <l>Was hebt man theurer auf, als einen alten &#x017F;tein?</l><lb/>
          <l>Der &#x017F;chnelle wandrer bleibt bey &#x017F;chutt und grau&#x017F;e &#x017F;tehen:</l><lb/>
          <l>Ein halb vermodert bild la&#x0364;&#x017F;t ihn &#x017F;o bald nicht gehen;</l><lb/>
          <l>Und un&#x017F;er alter tra&#x0364;gt nichts als verachtung ein.</l>
        </lg><lb/>
        <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/>
        <lg type="poem">
          <head> <hi rendition="#c">* *</hi> </head><lb/>
          <l><hi rendition="#in">W</hi>As hilfft der hohe witz, damit dein ehrgeitz &#x017F;tutzet?</l><lb/>
          <l>Ge&#x017F;etzt, daß du, o men&#x017F;ch! der klu&#x0364;ffte grund durch-</l><lb/>
          <l> <hi rendition="#et">renn&#x017F;t,</hi> </l><lb/>
          <l>Die kra&#x0364;ffte der natur, der la&#x0364;nder &#x017F;itten kenn&#x017F;t,</l><lb/>
          <l>Und alles inne ha&#x017F;t, was großen ho&#x0364;fen nutzet.</l><lb/>
          <l>Ge&#x017F;etzt: daß dein ver&#x017F;tand biß in den himmel &#x017F;teigt,</l><lb/>
          <l>Und in der monden-welt die bu&#x0364;rger kennen lernet;</l><lb/>
          <l>Es bleibt die weisheit doch noch weit von dir entfernet,</l><lb/>
          <l>Weil keine wi&#x017F;&#x017F;en&#x017F;chafft dir deine thorheit zeigt.</l>
        </lg><lb/>
        <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/>
        <lg type="poem">
          <head> <hi rendition="#c">* *</hi> </head><lb/>
          <l><hi rendition="#in">D</hi>Ie armuth bringt zwar ang&#x017F;t; doch hat &#x017F;ie auch vergnu&#x0364;-</l><lb/>
          <l> <hi rendition="#et">get.</hi> </l><lb/>
          <l>Jch gebe gerne zu: da, wo &#x017F;ie eingekehrt,</l><lb/>
          <l>Verbleibt kein &#x017F;chmeichler mehr: die &#x017F;tube wird geleert:</l><lb/>
          <l>Lu&#x017F;t, pracht und an&#x017F;ehn flieht: was &#x017F;ich zuvor ge&#x017F;chmieget,</l><lb/>
          <fw place="bottom" type="sig">T 5</fw>
          <fw place="bottom" type="catch">Em-</fw><lb/>
        </lg>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[297/0299] Vermiſchte Gedichte. Er kommt mit dir zur welt; Das allererſte licht Schleppt ſeinen ſchatten nach: Sein arm, der alles zwinget, Macht, daß dein hochmuth ihm beſtaͤndig zinſen muß. Der menſch hat, eh er ſtirbt, zu ſterben angefangen: Der letzte ſtos, wodurch wir in die grufft gelangen, Jſt wahrlich nicht der tod; es iſt nur ſein beſchluß. * * AUswuͤrffe der natur! ihr unbeſeelten ſtuͤcke, Jſt euer gluͤcke nicht des groͤſten neides werth? Die zeit, die alles ſonſt verſchlimmert und verzehrt, Erwirbet euch, nicht uns, das ſchaͤtzbarſte geluͤcke. Was hebt man theurer auf, als einen alten ſtein? Der ſchnelle wandrer bleibt bey ſchutt und grauſe ſtehen: Ein halb vermodert bild laͤſt ihn ſo bald nicht gehen; Und unſer alter traͤgt nichts als verachtung ein. * * WAs hilfft der hohe witz, damit dein ehrgeitz ſtutzet? Geſetzt, daß du, o menſch! der kluͤffte grund durch- rennſt, Die kraͤffte der natur, der laͤnder ſitten kennſt, Und alles inne haſt, was großen hoͤfen nutzet. Geſetzt: daß dein verſtand biß in den himmel ſteigt, Und in der monden-welt die buͤrger kennen lernet; Es bleibt die weisheit doch noch weit von dir entfernet, Weil keine wiſſenſchafft dir deine thorheit zeigt. * * DIe armuth bringt zwar angſt; doch hat ſie auch vergnuͤ- get. Jch gebe gerne zu: da, wo ſie eingekehrt, Verbleibt kein ſchmeichler mehr: die ſtube wird geleert: Luſt, pracht und anſehn flieht: was ſich zuvor geſchmieget, Em- T 5

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/hoffmannswaldau_gedichte05_1710
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/hoffmannswaldau_gedichte05_1710/299
Zitationshilfe: Hofmannswaldau, Christian Hofmann von: Herrn von Hofmannswaldau und andrer Deutschen auserlesene und bißher ungedruckte Gedichte. Bd. 5. Leipzig, 1710, S. 297. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/hoffmannswaldau_gedichte05_1710/299>, abgerufen am 23.11.2024.