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Hofmannswaldau, Christian Hofmann von: Herrn von Hofmannswaldau und andrer Deutschen auserlesene und bißher ungedruckte Gedichte. Bd. 5. Leipzig, 1710.

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Vermischte Gedichte.
Was jenem wiederfuhr, kan auch von dir geschehen,
Der angebshrne fall läst uns doch wenig ruh.
Die beste klugheit ist: Bedächtig seyn und leben,
Und niemals allzusteif auf seinem kopffe stehn.
Man muß den leuten nicht durchgehends glauben geben,
Noch mit den zeitungen durch alle straßen gehn.
Bekümmre dich vielmehr um dich und deine sünden,
Als um des nachbars thun, weil du dir näher bist;
Wiewol du wirst vor dich dein hertze nicht ergründen,
Des menschen eigenlieb' ist voll verborgner list.
Darum vertrau dich GOtt, und einem weisen freunde,
Der ein geläutert hertz und viel erfahrung hat.
Fleisch, welt und eigensinn fleuch, als die ärgsten feinde,
Und suche nirgends sonst, als nur bey frommen rath.
Wer also thut und lebt, der wandelt klug und sicher.
O seele! wandle doch den wahren tugend-lauf.
Ein GOtt-gelaßner geist bedarff nicht erst viel bücher,
Denn GOtt thut ihm das buch vollkommner weisheit auf.


Das fünffte capitel.
WEr aus der bibel nichts als kluge reden lernen,
Und nicht vielmehr daselbst die wahrheit suchen will,
Der trifft nicht auf den zweck; er folget falschen sternen
Und macht des HErren wort zu einem blosen spiel.
GOtt lehrt uns in der schrifft nur lauter wahrheit sinden:
Und wer die bibel nicht in diesem geiste liest,
Der sie geschrieben hat, der wird nicht viel ergründen,
Dieweil sie der natur ein dunckles rätzel ist.
Drum so versteig dich nicht in spitzigen gedancken,
Und such' in GOttes wort blos, was die seel erbaut.
Ein weises hertze muß nicht von der einfalt wancken,
Denn der kömmt hier nicht fort, dem schon vor dieser graut.
Ein and acht-reiches buch, das nach der einfalt schmecket,
Muß uns so angenehm, als hohe reden seyn.
Denn obgleich Seneca voll tiefer sprüche stecket,
So machen sie dich doch von keiner sünde rein.
Be-
S 5
Vermiſchte Gedichte.
Was jenem wiederfuhr, kan auch von dir geſchehen,
Der angebshrne fall laͤſt uns doch wenig ruh.
Die beſte klugheit iſt: Bedaͤchtig ſeyn und leben,
Und niemals allzuſteif auf ſeinem kopffe ſtehn.
Man muß den leuten nicht durchgehends glauben geben,
Noch mit den zeitungen durch alle ſtraßen gehn.
Bekuͤmmre dich vielmehr um dich und deine ſuͤnden,
Als um des nachbars thun, weil du dir naͤher biſt;
Wiewol du wirſt vor dich dein hertze nicht ergruͤnden,
Des menſchen eigenlieb’ iſt voll verborgner liſt.
Darum vertrau dich GOtt, und einem weiſen freunde,
Der ein gelaͤutert hertz und viel erfahrung hat.
Fleiſch, welt und eigenſinn fleuch, als die aͤrgſten feinde,
Und ſuche nirgends ſonſt, als nur bey frommen rath.
Wer alſo thut und lebt, der wandelt klug und ſicher.
O ſeele! wandle doch den wahren tugend-lauf.
Ein GOtt-gelaßner geiſt bedarff nicht erſt viel buͤcher,
Denn GOtt thut ihm das buch vollkommner weisheit auf.


Das fuͤnffte capitel.
WEr aus der bibel nichts als kluge reden lernen,
Und nicht vielmehr daſelbſt die wahrheit ſuchen will,
Der trifft nicht auf den zweck; er folget falſchen ſternen
Und macht des HErren wort zu einem bloſen ſpiel.
GOtt lehrt uns in der ſchrifft nur lauter wahrheit ſinden:
Und wer die bibel nicht in dieſem geiſte lieſt,
Der ſie geſchrieben hat, der wird nicht viel ergruͤnden,
Dieweil ſie der natur ein dunckles raͤtzel iſt.
Drum ſo verſteig dich nicht in ſpitzigen gedancken,
Und ſuch’ in GOttes wort blos, was die ſeel erbaut.
Ein weiſes hertze muß nicht von der einfalt wancken,
Denn der koͤmmt hier nicht fort, dem ſchon vor dieſer graut.
Ein and acht-reiches buch, das nach der einfalt ſchmecket,
Muß uns ſo angenehm, als hohe reden ſeyn.
Denn obgleich Seneca voll tiefer ſpruͤche ſtecket,
So machen ſie dich doch von keiner ſuͤnde rein.
Be-
S 5
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[281/0283] Vermiſchte Gedichte. Was jenem wiederfuhr, kan auch von dir geſchehen, Der angebshrne fall laͤſt uns doch wenig ruh. Die beſte klugheit iſt: Bedaͤchtig ſeyn und leben, Und niemals allzuſteif auf ſeinem kopffe ſtehn. Man muß den leuten nicht durchgehends glauben geben, Noch mit den zeitungen durch alle ſtraßen gehn. Bekuͤmmre dich vielmehr um dich und deine ſuͤnden, Als um des nachbars thun, weil du dir naͤher biſt; Wiewol du wirſt vor dich dein hertze nicht ergruͤnden, Des menſchen eigenlieb’ iſt voll verborgner liſt. Darum vertrau dich GOtt, und einem weiſen freunde, Der ein gelaͤutert hertz und viel erfahrung hat. Fleiſch, welt und eigenſinn fleuch, als die aͤrgſten feinde, Und ſuche nirgends ſonſt, als nur bey frommen rath. Wer alſo thut und lebt, der wandelt klug und ſicher. O ſeele! wandle doch den wahren tugend-lauf. Ein GOtt-gelaßner geiſt bedarff nicht erſt viel buͤcher, Denn GOtt thut ihm das buch vollkommner weisheit auf. Das fuͤnffte capitel. WEr aus der bibel nichts als kluge reden lernen, Und nicht vielmehr daſelbſt die wahrheit ſuchen will, Der trifft nicht auf den zweck; er folget falſchen ſternen Und macht des HErren wort zu einem bloſen ſpiel. GOtt lehrt uns in der ſchrifft nur lauter wahrheit ſinden: Und wer die bibel nicht in dieſem geiſte lieſt, Der ſie geſchrieben hat, der wird nicht viel ergruͤnden, Dieweil ſie der natur ein dunckles raͤtzel iſt. Drum ſo verſteig dich nicht in ſpitzigen gedancken, Und ſuch’ in GOttes wort blos, was die ſeel erbaut. Ein weiſes hertze muß nicht von der einfalt wancken, Denn der koͤmmt hier nicht fort, dem ſchon vor dieſer graut. Ein and acht-reiches buch, das nach der einfalt ſchmecket, Muß uns ſo angenehm, als hohe reden ſeyn. Denn obgleich Seneca voll tiefer ſpruͤche ſtecket, So machen ſie dich doch von keiner ſuͤnde rein. Be- S 5

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Zitationshilfe: Hofmannswaldau, Christian Hofmann von: Herrn von Hofmannswaldau und andrer Deutschen auserlesene und bißher ungedruckte Gedichte. Bd. 5. Leipzig, 1710, S. 281. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/hoffmannswaldau_gedichte05_1710/283>, abgerufen am 23.11.2024.