Hoffmannswaldau, Christian Hoffmann von: Herrn von Hoffmannswaldau und andrer Deutschen auserlesene und bißher ungedruckte Gedichte. [Bd. 1]. Leipzig, 1695.Vermischte Gedichte. Sie brennt das kalte kind/ wiewohl sie nicht verbrennt/Das feuer wird anitzt an Helenen erkennt. Die lippen sind ihr noch befeuchtet von den küssen/ Ihr holer athem ist der seuffzer noch beflissen/ Die strahlen färben noch die blassen wangen an/ Die wärmde bleibet noch dem schatten zugethan. Das thränen-oel muß noch die liebes-ampel nehren/ Das leben scheint sich erst in weinen zu verkehren. Der schon verweßte leib/ die todten-asche glimmt In ihrem sarge noch; das lieb[e]s-ambra schwimmt Noch in der dürren maus/ in den verdorrten beinen/ Ja die gesammte schaar/ die Venus ie bescheinen Mit ihrer sonnen ließ/ befindet sich allhier/ Und trägt Persephonen die hochzeit-fackeln für/ Der auch gleich auff der welt nur in der brust empfunden Den stumpffen pfeil aus bley/ empfunden neue wunden Beym düstern Erebus. Es pflantzet neue pein Der liebe güldner strahl den leichten geistern ein/ Erst nach der höllen-fahrt. Wie? wird das halsabstürtzen Von dem Leucathes denn die liebes-brunst verkürtzen/ Wenn die vergessungs-nacht das himmel-helle licht/ Sie nicht verfinstern kan. Nein/ wahre liebe bricht So leichtlich nicht/ als glaß. Es wurtzelt sich das lieben/ Dafern sein saamen ist im hertzen recht beklieben/ Durch keinen fall bald aus. Kan weder eiß noch schnee/ Noch das gefrorne meer/ noch Lethens blasse see Der liebe feuer still'n/ viel minder wird das baden In des Silenus bach der liebe brunst entladen Den angeflammten geist. Die schöne Venus webt Kein schwaches spinnen-garn. Die matte seele klebt Erst an dem leim recht an/ wenn sie sich loßzudrehen Am besten ist bemüht; der thorheit blindes sehen/ Die durch ein rauten-blat zu wasser machen will/ O göttin/ deine glut/ setzt ein zu enge ziel Der unbegreiffligkeit; denn eulen die verblinden/ Wenn sie das strahlen-qvell der sonne wolln ergründen. Wie kan die sterbligkeit dich meistern durch ein blat/ Wenn sie/ dich sonne/ nicht zu schauen augen hat? Heist diese kühnheit nicht den himmel stürmen wollen? Da solche richter doch sich billig spiegeln sollen An allen/ welche stets das rach-schwerdt hat erjagt/ Wenn sie der götter lob zu mindern sich gewagt. Hat an dem Marsyas Apollo das verbrechen/ Den vorwitz Niobens Latone können rächen? Hat
Vermiſchte Gedichte. Sie brennt das kalte kind/ wiewohl ſie nicht verbrennt/Das feuer wird anitzt an Helenen erkennt. Die lippen ſind ihr noch befeuchtet von den kuͤſſen/ Ihr holer athem iſt der ſeuffzer noch befliſſen/ Die ſtrahlen faͤrben noch die blaſſen wangen an/ Die waͤrmde bleibet noch dem ſchatten zugethan. Das thraͤnen-oel muß noch die liebes-ampel nehren/ Das leben ſcheint ſich erſt in weinen zu verkehren. Der ſchon verweßte leib/ die todten-aſche glimmt In ihrem ſarge noch; das lieb[e]s-ambra ſchwimmt Noch in der duͤrren maus/ in den verdorrten beinen/ Ja die geſammte ſchaar/ die Venus ie beſcheinen Mit ihrer ſonnen ließ/ befindet ſich allhier/ Und traͤgt Perſephonen die hochzeit-fackeln fuͤr/ Der auch gleich auff der welt nur in der bruſt empfunden Den ſtumpffen pfeil aus bley/ empfunden neue wunden Beym duͤſtern Erebus. Es pflantzet neue pein Der liebe guͤldner ſtrahl den leichten geiſtern ein/ Erſt nach der hoͤllen-fahrt. Wie? wird das halsabſtuͤrtzen Von dem Leucathes denn die liebes-brunſt verkuͤrtzen/ Wenn die vergeſſungs-nacht das himmel-helle licht/ Sie nicht verfinſtern kan. Nein/ wahre liebe bricht So leichtlich nicht/ als glaß. Es wurtzelt ſich das lieben/ Dafern ſein ſaamen iſt im hertzen recht beklieben/ Durch keinen fall bald aus. Kan weder eiß noch ſchnee/ Noch das gefrorne meer/ noch Lethens blaſſe ſee Der liebe feuer ſtill’n/ viel minder wird das baden In des Silenus bach der liebe brunſt entladen Den angeflammten geiſt. Die ſchoͤne Venus webt Kein ſchwaches ſpinnen-garn. Die matte ſeele klebt Erſt an dem leim recht an/ wenn ſie ſich loßzudrehen Am beſten iſt bemuͤht; der thorheit blindes ſehen/ Die durch ein rauten-blat zu waſſer machen will/ O goͤttin/ deine glut/ ſetzt ein zu enge ziel Der unbegreiffligkeit; denn eulen die verblinden/ Wenn ſie das ſtrahlen-qvell der ſonne wolln ergruͤnden. Wie kan die ſterbligkeit dich meiſtern durch ein blat/ Wenn ſie/ dich ſonne/ nicht zu ſchauen augen hat? Heiſt dieſe kuͤhnheit nicht den himmel ſtuͤrmen wollen? Da ſolche richter doch ſich billig ſpiegeln ſollen An allen/ welche ſtets das rach-ſchwerdt hat erjagt/ Wenn ſie der goͤtter lob zu mindern ſich gewagt. Hat an dem Marſyas Apollo das verbrechen/ Den vorwitz Niobens Latone koͤnnen raͤchen? Hat
<TEI> <text> <body> <div n="1"> <lg type="poem"> <lg n="1"> <pb facs="#f0315" n="271"/> <fw place="top" type="header"> <hi rendition="#fr">Vermiſchte Gedichte.</hi> </fw><lb/> <l>Sie brennt das kalte kind/ wiewohl ſie nicht verbrennt/</l><lb/> <l>Das feuer wird anitzt an Helenen erkennt.</l><lb/> <l>Die lippen ſind ihr noch befeuchtet von den kuͤſſen/</l><lb/> <l>Ihr holer athem iſt der ſeuffzer noch befliſſen/</l><lb/> <l>Die ſtrahlen faͤrben noch die blaſſen wangen an/</l><lb/> <l>Die waͤrmde bleibet noch dem ſchatten zugethan.</l><lb/> <l>Das thraͤnen-oel muß noch die liebes-ampel nehren/</l><lb/> <l>Das leben ſcheint ſich erſt in weinen zu verkehren.</l><lb/> <l>Der ſchon verweßte leib/ die todten-aſche glimmt</l><lb/> <l>In ihrem ſarge noch; das lieb<supplied>e</supplied>s-ambra ſchwimmt</l><lb/> <l>Noch in der duͤrren maus/ in den verdorrten beinen/</l><lb/> <l>Ja die geſammte ſchaar/ die Venus ie beſcheinen</l><lb/> <l>Mit ihrer ſonnen ließ/ befindet ſich allhier/</l><lb/> <l>Und traͤgt Perſephonen die hochzeit-fackeln fuͤr/</l><lb/> <l>Der auch gleich auff der welt nur in der bruſt empfunden</l><lb/> <l>Den ſtumpffen pfeil aus bley/ empfunden neue wunden</l><lb/> <l>Beym duͤſtern Erebus. Es pflantzet neue pein</l><lb/> <l>Der liebe guͤldner ſtrahl den leichten geiſtern ein/</l><lb/> <l>Erſt nach der hoͤllen-fahrt. Wie? wird das halsabſtuͤrtzen</l><lb/> <l>Von dem Leucathes denn die liebes-brunſt verkuͤrtzen/</l><lb/> <l>Wenn die vergeſſungs-nacht das himmel-helle licht/</l><lb/> <l>Sie nicht verfinſtern kan. Nein/ wahre liebe bricht</l><lb/> <l>So leichtlich nicht/ als glaß. Es wurtzelt ſich das lieben/</l><lb/> <l>Dafern ſein ſaamen iſt im hertzen recht beklieben/</l><lb/> <l>Durch keinen fall bald aus. Kan weder eiß noch ſchnee/</l><lb/> <l>Noch das gefrorne meer/ noch Lethens blaſſe ſee</l><lb/> <l>Der liebe feuer ſtill’n/ viel minder wird das baden</l><lb/> <l>In des Silenus bach der liebe brunſt entladen</l><lb/> <l>Den angeflammten geiſt. Die ſchoͤne Venus webt</l><lb/> <l>Kein ſchwaches ſpinnen-garn. Die matte ſeele klebt</l><lb/> <l>Erſt an dem leim recht an/ wenn ſie ſich loßzudrehen</l><lb/> <l>Am beſten iſt bemuͤht; der thorheit blindes ſehen/</l><lb/> <l>Die durch ein rauten-blat zu waſſer machen will/</l><lb/> <l>O goͤttin/ deine glut/ ſetzt ein zu enge ziel</l><lb/> <l>Der unbegreiffligkeit; denn eulen die verblinden/</l><lb/> <l>Wenn ſie das ſtrahlen-qvell der ſonne wolln ergruͤnden.</l><lb/> <l>Wie kan die ſterbligkeit dich meiſtern durch ein blat/</l><lb/> <l>Wenn ſie/ dich ſonne/ nicht zu ſchauen augen hat?</l><lb/> <l>Heiſt dieſe kuͤhnheit nicht den himmel ſtuͤrmen wollen?</l><lb/> <l>Da ſolche richter doch ſich billig ſpiegeln ſollen</l><lb/> <l>An allen/ welche ſtets das rach-ſchwerdt hat erjagt/</l><lb/> <l>Wenn ſie der goͤtter lob zu mindern ſich gewagt.</l><lb/> <l>Hat an dem Marſyas Apollo das verbrechen/</l><lb/> <l>Den vorwitz Niobens Latone koͤnnen raͤchen?</l><lb/> <fw place="bottom" type="catch">Hat</fw><lb/> </lg> </lg> </div> </body> </text> </TEI> [271/0315]
Vermiſchte Gedichte.
Sie brennt das kalte kind/ wiewohl ſie nicht verbrennt/
Das feuer wird anitzt an Helenen erkennt.
Die lippen ſind ihr noch befeuchtet von den kuͤſſen/
Ihr holer athem iſt der ſeuffzer noch befliſſen/
Die ſtrahlen faͤrben noch die blaſſen wangen an/
Die waͤrmde bleibet noch dem ſchatten zugethan.
Das thraͤnen-oel muß noch die liebes-ampel nehren/
Das leben ſcheint ſich erſt in weinen zu verkehren.
Der ſchon verweßte leib/ die todten-aſche glimmt
In ihrem ſarge noch; das liebes-ambra ſchwimmt
Noch in der duͤrren maus/ in den verdorrten beinen/
Ja die geſammte ſchaar/ die Venus ie beſcheinen
Mit ihrer ſonnen ließ/ befindet ſich allhier/
Und traͤgt Perſephonen die hochzeit-fackeln fuͤr/
Der auch gleich auff der welt nur in der bruſt empfunden
Den ſtumpffen pfeil aus bley/ empfunden neue wunden
Beym duͤſtern Erebus. Es pflantzet neue pein
Der liebe guͤldner ſtrahl den leichten geiſtern ein/
Erſt nach der hoͤllen-fahrt. Wie? wird das halsabſtuͤrtzen
Von dem Leucathes denn die liebes-brunſt verkuͤrtzen/
Wenn die vergeſſungs-nacht das himmel-helle licht/
Sie nicht verfinſtern kan. Nein/ wahre liebe bricht
So leichtlich nicht/ als glaß. Es wurtzelt ſich das lieben/
Dafern ſein ſaamen iſt im hertzen recht beklieben/
Durch keinen fall bald aus. Kan weder eiß noch ſchnee/
Noch das gefrorne meer/ noch Lethens blaſſe ſee
Der liebe feuer ſtill’n/ viel minder wird das baden
In des Silenus bach der liebe brunſt entladen
Den angeflammten geiſt. Die ſchoͤne Venus webt
Kein ſchwaches ſpinnen-garn. Die matte ſeele klebt
Erſt an dem leim recht an/ wenn ſie ſich loßzudrehen
Am beſten iſt bemuͤht; der thorheit blindes ſehen/
Die durch ein rauten-blat zu waſſer machen will/
O goͤttin/ deine glut/ ſetzt ein zu enge ziel
Der unbegreiffligkeit; denn eulen die verblinden/
Wenn ſie das ſtrahlen-qvell der ſonne wolln ergruͤnden.
Wie kan die ſterbligkeit dich meiſtern durch ein blat/
Wenn ſie/ dich ſonne/ nicht zu ſchauen augen hat?
Heiſt dieſe kuͤhnheit nicht den himmel ſtuͤrmen wollen?
Da ſolche richter doch ſich billig ſpiegeln ſollen
An allen/ welche ſtets das rach-ſchwerdt hat erjagt/
Wenn ſie der goͤtter lob zu mindern ſich gewagt.
Hat an dem Marſyas Apollo das verbrechen/
Den vorwitz Niobens Latone koͤnnen raͤchen?
Hat
Suche im WerkInformationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
Voyant Tools ?Language Resource Switchboard?FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2024 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |