Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Hoffmannswaldau, Christian Hoffmann von: Herrn von Hoffmannswaldau und andrer Deutschen auserlesene und bißher ungedruckte Gedichte. [Bd. 1]. Leipzig, 1695.

Bild:
<< vorherige Seite

Vorrede.
fern müssen/ wie er sie am ersten zur welt gebracht/
und müssen dannenhero diejenigen/ welche sie sehen
sie nicht als vollkommene kinder/ sondern bloß als
erstlinge oder unreiffe früchte betrachten/ welche
vielleicht gantz anders schmecken würden/ wenn sie
die sonne seines verstandes noch einmahl beschienen
hätte.

Nach abgang dieser dreyen berühmten Männer
haben sich in Schlesien Herr Mühlpfort/ Herr v.
Aßig/ und die noch lebenden Herr v. Abschatz/ und
Herr Gryphius bekandt gemacht/ und verdienen
absonderlich die letzten/ daß man sie unter die stü-
tzen unserer verfallenden Poesie wohl zehlen darff.
Von auswärtigen/ welche durch dichten einigen
ruhm erworben/ will ich meine gedancken dißmahl
verschweigen; man möchte mich/ als einen Schle-
sier für allzu partheyisch halten. Jedoch werde ich
hoffentlich nicht sündigen/ wenn ich an statt der an-
dern aller des sel. Herrn Morhoffs und Herrn v.
Besser gedencke. Der erste schreibt zwar so lieb-
lich nicht/ als gelehrt. Er hat aber sehr wohl ver-
standen/ was zu einem gedichte erfordert wird. Der
andere ist in beyden sehr glücklich/ und hat nicht
allein einen scharffen geschmack von guten gedan-
cken/ sondern schreibet auch solche verße/ welche
ein iegliches ohr vergnügen können. Und nun sol-
te man wohl meynen/ daß es um die deutsche Poe-
sie sehr wohl beschaffen/ und wenig zu ihrer voll-

kom-

Vorrede.
fern muͤſſen/ wie er ſie am erſten zur welt gebracht/
und muͤſſen dannenhero diejenigen/ welche ſie ſehen
ſie nicht als vollkommene kinder/ ſondern bloß als
erſtlinge oder unreiffe fruͤchte betrachten/ welche
vielleicht gantz anders ſchmecken wuͤrden/ wenn ſie
die ſonne ſeines verſtandes noch einmahl beſchienen
haͤtte.

Nach abgang dieſer dreyen beruͤhmten Maͤnner
haben ſich in Schleſien Herr Muͤhlpfort/ Herr v.
Aßig/ und die noch lebenden Herr v. Abſchatz/ und
Herr Gryphius bekandt gemacht/ und verdienen
abſonderlich die letzten/ daß man ſie unter die ſtuͤ-
tzen unſerer verfallenden Poeſie wohl zehlen darff.
Von auswaͤrtigen/ welche durch dichten einigen
ruhm erworben/ will ich meine gedancken dißmahl
verſchweigen; man moͤchte mich/ als einen Schle-
ſier fuͤr allzu partheyiſch halten. Jedoch werde ich
hoffentlich nicht ſuͤndigen/ wenn ich an ſtatt der an-
dern aller des ſel. Herrn Morhoffs und Herrn v.
Beſſer gedencke. Der erſte ſchreibt zwar ſo lieb-
lich nicht/ als gelehrt. Er hat aber ſehr wohl ver-
ſtanden/ was zu einem gedichte erfordert wird. Der
andere iſt in beyden ſehr gluͤcklich/ und hat nicht
allein einen ſcharffen geſchmack von guten gedan-
cken/ ſondern ſchreibet auch ſolche verße/ welche
ein iegliches ohr vergnuͤgen koͤnnen. Und nun ſol-
te man wohl meynen/ daß es um die deutſche Poe-
ſie ſehr wohl beſchaffen/ und wenig zu ihrer voll-

kom-
<TEI>
  <text>
    <front>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0030"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#fr">Vorrede.</hi></fw><lb/>
fern mu&#x0364;&#x017F;&#x017F;en/ wie er &#x017F;ie am er&#x017F;ten zur welt gebracht/<lb/>
und mu&#x0364;&#x017F;&#x017F;en dannenhero diejenigen/ welche &#x017F;ie &#x017F;ehen<lb/>
&#x017F;ie nicht als vollkommene kinder/ &#x017F;ondern bloß als<lb/>
er&#x017F;tlinge oder unreiffe fru&#x0364;chte betrachten/ welche<lb/>
vielleicht gantz anders &#x017F;chmecken wu&#x0364;rden/ wenn &#x017F;ie<lb/>
die &#x017F;onne &#x017F;eines ver&#x017F;tandes noch einmahl be&#x017F;chienen<lb/>
ha&#x0364;tte.</p><lb/>
        <p>Nach abgang die&#x017F;er dreyen beru&#x0364;hmten Ma&#x0364;nner<lb/>
haben &#x017F;ich in Schle&#x017F;ien Herr Mu&#x0364;hlpfort/ Herr v.<lb/>
Aßig/ und die noch lebenden Herr v. Ab&#x017F;chatz/ und<lb/>
Herr <hi rendition="#aq">Gryphius</hi> bekandt gemacht/ und verdienen<lb/>
ab&#x017F;onderlich die letzten/ daß man &#x017F;ie unter die &#x017F;tu&#x0364;-<lb/>
tzen un&#x017F;erer verfallenden Poe&#x017F;ie wohl zehlen darff.<lb/>
Von auswa&#x0364;rtigen/ welche durch dichten einigen<lb/>
ruhm erworben/ will ich meine gedancken dißmahl<lb/>
ver&#x017F;chweigen; man mo&#x0364;chte mich/ als einen Schle-<lb/>
&#x017F;ier fu&#x0364;r allzu partheyi&#x017F;ch halten. Jedoch werde ich<lb/>
hoffentlich nicht &#x017F;u&#x0364;ndigen/ wenn ich an &#x017F;tatt der an-<lb/>
dern aller des &#x017F;el. Herrn Morhoffs und Herrn v.<lb/>
Be&#x017F;&#x017F;er gedencke. Der er&#x017F;te &#x017F;chreibt zwar &#x017F;o lieb-<lb/>
lich nicht/ als gelehrt. Er hat aber &#x017F;ehr wohl ver-<lb/>
&#x017F;tanden/ was zu einem gedichte erfordert wird. Der<lb/>
andere i&#x017F;t in beyden &#x017F;ehr glu&#x0364;cklich/ und hat nicht<lb/>
allein einen &#x017F;charffen ge&#x017F;chmack von guten gedan-<lb/>
cken/ &#x017F;ondern &#x017F;chreibet auch &#x017F;olche verße/ welche<lb/>
ein iegliches ohr vergnu&#x0364;gen ko&#x0364;nnen. Und nun &#x017F;ol-<lb/>
te man wohl meynen/ daß es um die deut&#x017F;che Poe-<lb/>
&#x017F;ie &#x017F;ehr wohl be&#x017F;chaffen/ und wenig zu ihrer voll-<lb/>
<fw place="bottom" type="catch">kom-</fw><lb/></p>
      </div>
    </front>
  </text>
</TEI>
[0030] Vorrede. fern muͤſſen/ wie er ſie am erſten zur welt gebracht/ und muͤſſen dannenhero diejenigen/ welche ſie ſehen ſie nicht als vollkommene kinder/ ſondern bloß als erſtlinge oder unreiffe fruͤchte betrachten/ welche vielleicht gantz anders ſchmecken wuͤrden/ wenn ſie die ſonne ſeines verſtandes noch einmahl beſchienen haͤtte. Nach abgang dieſer dreyen beruͤhmten Maͤnner haben ſich in Schleſien Herr Muͤhlpfort/ Herr v. Aßig/ und die noch lebenden Herr v. Abſchatz/ und Herr Gryphius bekandt gemacht/ und verdienen abſonderlich die letzten/ daß man ſie unter die ſtuͤ- tzen unſerer verfallenden Poeſie wohl zehlen darff. Von auswaͤrtigen/ welche durch dichten einigen ruhm erworben/ will ich meine gedancken dißmahl verſchweigen; man moͤchte mich/ als einen Schle- ſier fuͤr allzu partheyiſch halten. Jedoch werde ich hoffentlich nicht ſuͤndigen/ wenn ich an ſtatt der an- dern aller des ſel. Herrn Morhoffs und Herrn v. Beſſer gedencke. Der erſte ſchreibt zwar ſo lieb- lich nicht/ als gelehrt. Er hat aber ſehr wohl ver- ſtanden/ was zu einem gedichte erfordert wird. Der andere iſt in beyden ſehr gluͤcklich/ und hat nicht allein einen ſcharffen geſchmack von guten gedan- cken/ ſondern ſchreibet auch ſolche verße/ welche ein iegliches ohr vergnuͤgen koͤnnen. Und nun ſol- te man wohl meynen/ daß es um die deutſche Poe- ſie ſehr wohl beſchaffen/ und wenig zu ihrer voll- kom-

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/hoffmannswaldau_gedichte01_1695
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/hoffmannswaldau_gedichte01_1695/30
Zitationshilfe: Hoffmannswaldau, Christian Hoffmann von: Herrn von Hoffmannswaldau und andrer Deutschen auserlesene und bißher ungedruckte Gedichte. [Bd. 1]. Leipzig, 1695, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/hoffmannswaldau_gedichte01_1695/30>, abgerufen am 18.12.2024.