Kreischen der Sturmverkündenden Möven wieder¬ hallt. Eine Viertelstunde davon ändert sich plötzlich die Natur. Wie durch einen Zauberschlag ist man in blühende Felder, üppige Aecker und Wiesen ver¬ setzt. Man erblickt das große, reiche Dorf mit dem geräumigen Wohnhause des Wirthschaftsin¬ spektors. An der Spitze eines freundlichen Erlen¬ busches sind die Fundamente eines großen Schlosses sichtbar, das einer der vormaligen Besitzer aufzu¬ bauen im Sinne hatte. Die Nachfolger, auf ihren Gütern in Curland hausend, ließen den Bau liegen, und auch der Freiherr Roderich von R., der wie¬ derum seinen Wohnsitz auf dem Stammgute nahm, mochte nicht weiter bauen, da seinem finstern, men¬ schenscheuen Wesen der Aufenthalt in dem alten, einsam liegenden Schlosse zusagte. Er ließ das ver¬ fallene Gebäude, so gut es gehen wollte, herstellen, und sperrte sich darin ein, mit einem grämlichen Hausverwalter und geringer Dienerschaft. Nur selten sah' man ihn im Dorfe, dagegen ging und ritt er oft am Meeresstrande hin und her, und
Kreiſchen der Sturmverkuͤndenden Moͤven wieder¬ hallt. Eine Viertelſtunde davon aͤndert ſich ploͤtzlich die Natur. Wie durch einen Zauberſchlag iſt man in bluͤhende Felder, uͤppige Aecker und Wieſen ver¬ ſetzt. Man erblickt das große, reiche Dorf mit dem geraͤumigen Wohnhauſe des Wirthſchaftsin¬ ſpektors. An der Spitze eines freundlichen Erlen¬ buſches ſind die Fundamente eines großen Schloſſes ſichtbar, das einer der vormaligen Beſitzer aufzu¬ bauen im Sinne hatte. Die Nachfolger, auf ihren Guͤtern in Curland hauſend, ließen den Bau liegen, und auch der Freiherr Roderich von R., der wie¬ derum ſeinen Wohnſitz auf dem Stammgute nahm, mochte nicht weiter bauen, da ſeinem finſtern, men¬ ſchenſcheuen Weſen der Aufenthalt in dem alten, einſam liegenden Schloſſe zuſagte. Er ließ das ver¬ fallene Gebaͤude, ſo gut es gehen wollte, herſtellen, und ſperrte ſich darin ein, mit einem graͤmlichen Hausverwalter und geringer Dienerſchaft. Nur ſelten ſah' man ihn im Dorfe, dagegen ging und ritt er oft am Meeresſtrande hin und her, und
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Kreiſchen der Sturmverkuͤndenden Moͤven wieder¬
hallt. Eine Viertelſtunde davon aͤndert ſich ploͤtzlich
die Natur. Wie durch einen Zauberſchlag iſt man
in bluͤhende Felder, uͤppige Aecker und Wieſen ver¬
ſetzt. Man erblickt das große, reiche Dorf mit
dem geraͤumigen Wohnhauſe des Wirthſchaftsin¬
ſpektors. An der Spitze eines freundlichen Erlen¬
buſches ſind die Fundamente eines großen Schloſſes
ſichtbar, das einer der vormaligen Beſitzer aufzu¬
bauen im Sinne hatte. Die Nachfolger, auf ihren
Guͤtern in Curland hauſend, ließen den Bau liegen,
und auch der Freiherr Roderich von R., der wie¬
derum ſeinen Wohnſitz auf dem Stammgute nahm,
mochte nicht weiter bauen, da ſeinem finſtern, men¬
ſchenſcheuen Weſen der Aufenthalt in dem alten,
einſam liegenden Schloſſe zuſagte. Er ließ das ver¬
fallene Gebaͤude, ſo gut es gehen wollte, herſtellen,
und ſperrte ſich darin ein, mit einem graͤmlichen
Hausverwalter und geringer Dienerſchaft. Nur
ſelten ſah' man ihn im Dorfe, dagegen ging und
ritt er oft am Meeresſtrande hin und her, und
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[Hoffmann, E. T. A.]: Nachtstücke. Bd. 2. Berlin, 1817, S. 76. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/hoffmann_nachtstuecke02_1817/84>, abgerufen am 18.12.2024.
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