einem Rosenbüschchen eingeschlafen, wo man sie nur nicht gleich bemerkt, und eben so holte man Clemen¬ tinen in einer entfernteren Allee ein, wo sie dem ent¬ fliehenden blonden Jüngling, dem sie vergebens nachgesetzt, eben mit lauter Stimme nachrief: "O der Mensch sieht es oft spät ein, wie sehr er geliebt wurde, wie vergeßlich und undankbar er war und wie groß das verkannte Herz!" -- Beide Schwe¬ stern waren etwas mißmüthig über die Heirath der jüngern, wiewohl viel schöneren und reizenderen Schwester, und vorzüglich rümpfte die schmähsüchti¬ ge Nannette das kleine Stülpnäschen; Rixendorf nahm sie aber auf den Arm und meinte, sie könnte wohl einmahl einen viel vornehmeren Mann mit einem noch schöneren Gute bekommen. Da wurde sie vergnügt und sang wieder: "Amenez vos troupeaux bergeres!" Clementine sprach aber sehr ernst und vornehm: "In der häuslichen Glück¬ seligkeit sind die windstillen, zwischen vier engen Wänden vorgetriebnen bequemen Freuden nur der zufälligste Bestandtheil: ihr Nerven- und Lebensgeist sind die lodernden Naphtaquellen der Liebe, die aus den verwandten Herzen in einander springen." -- Die Gesellschaft im Saal, die schon Kunde bekom¬ men von den wunderlichen aber fröhlichen Ereig¬
einem Roſenbuͤſchchen eingeſchlafen, wo man ſie nur nicht gleich bemerkt, und eben ſo holte man Clemen¬ tinen in einer entfernteren Allee ein, wo ſie dem ent¬ fliehenden blonden Juͤngling, dem ſie vergebens nachgeſetzt, eben mit lauter Stimme nachrief: „O der Menſch ſieht es oft ſpaͤt ein, wie ſehr er geliebt wurde, wie vergeßlich und undankbar er war und wie groß das verkannte Herz!“ — Beide Schwe¬ ſtern waren etwas mißmuͤthig uͤber die Heirath der juͤngern, wiewohl viel ſchoͤneren und reizenderen Schweſter, und vorzuͤglich ruͤmpfte die ſchmaͤhſuͤchti¬ ge Nannette das kleine Stuͤlpnaͤschen; Rixendorf nahm ſie aber auf den Arm und meinte, ſie koͤnnte wohl einmahl einen viel vornehmeren Mann mit einem noch ſchoͤneren Gute bekommen. Da wurde ſie vergnuͤgt und ſang wieder: „Amenez vos troupeaux bergeres!“ Clementine ſprach aber ſehr ernſt und vornehm: „In der haͤuslichen Gluͤck¬ ſeligkeit ſind die windſtillen, zwiſchen vier engen Waͤnden vorgetriebnen bequemen Freuden nur der zufaͤlligſte Beſtandtheil: ihr Nerven- und Lebensgeiſt ſind die lodernden Naphtaquellen der Liebe, die aus den verwandten Herzen in einander ſpringen.“ — Die Geſellſchaft im Saal, die ſchon Kunde bekom¬ men von den wunderlichen aber froͤhlichen Ereig¬
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einem Roſenbuͤſchchen eingeſchlafen, wo man ſie nur
nicht gleich bemerkt, und eben ſo holte man Clemen¬
tinen in einer entfernteren Allee ein, wo ſie dem ent¬
fliehenden blonden Juͤngling, dem ſie vergebens
nachgeſetzt, eben mit lauter Stimme nachrief: „O
der Menſch ſieht es oft ſpaͤt ein, wie ſehr er geliebt
wurde, wie vergeßlich und undankbar er war und
wie groß das verkannte Herz!“ — Beide Schwe¬
ſtern waren etwas mißmuͤthig uͤber die Heirath der
juͤngern, wiewohl viel ſchoͤneren und reizenderen
Schweſter, und vorzuͤglich ruͤmpfte die ſchmaͤhſuͤchti¬
ge Nannette das kleine Stuͤlpnaͤschen; Rixendorf
nahm ſie aber auf den Arm und meinte, ſie koͤnnte
wohl einmahl einen viel vornehmeren Mann mit
einem noch ſchoͤneren Gute bekommen. Da wurde
ſie vergnuͤgt und ſang wieder: „Amenez vos
troupeaux bergeres!“ Clementine ſprach aber
ſehr ernſt und vornehm: „In der haͤuslichen Gluͤck¬
ſeligkeit ſind die windſtillen, zwiſchen vier engen
Waͤnden vorgetriebnen bequemen Freuden nur der
zufaͤlligſte Beſtandtheil: ihr Nerven- und Lebensgeiſt
ſind die lodernden Naphtaquellen der Liebe, die aus
den verwandten Herzen in einander ſpringen.“ —
Die Geſellſchaft im Saal, die ſchon Kunde bekom¬
men von den wunderlichen aber froͤhlichen Ereig¬
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[Hoffmann, E. T. A.]: Nachtstücke. Bd. 2. Berlin, 1817, S. 371. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/hoffmann_nachtstuecke02_1817/379>, abgerufen am 25.11.2024.
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