Hast des Augenblicks nicht mehr schreiben konnte. Hermenegilda's Kammerfrau, die Xaver in sein Interesse gezogen, übernahm die Bestellung zur günstigen Stunde, und was dem Vater, dem Arzt nicht gelungen, bewirkte Xaver durch sein Schreiben. Hermenegilda entschloß sich ihn zu sehen. In tiefem Schweigen, mit niedergesenktem Blick empfing sie ihn in ihrem Gemach. Xaver nahte sich mit leisem schwankenden Schritt, er nahm Platz vor dem Sopha, auf dem sie saß, aber indem er sich herabbeugte von dem Stuhl, kniete er mehr vor Hermenegilda, als daß er saß, und so flehte er in den rührendsten Ausdrücken, mit einem Ton, als habe er sich des unverzeih¬ lichsten Verbrechens anzuklagen, nicht auf sein Haupt möge sie die Schuld des Irrthums laden, der ihn die Seligkeit des geliebten Freundes em¬ pfinden lassen. Nicht ihn, nein Stanislaus selbst habe sie in der Wonne des Wiedersehens umarmt. Er übergab den Brief, und fing an von Stanis¬ laus zu erzählen, wie er mit ächtritterlicher Treue
Haſt des Augenblicks nicht mehr ſchreiben konnte. Hermenegilda's Kammerfrau, die Xaver in ſein Intereſſe gezogen, uͤbernahm die Beſtellung zur guͤnſtigen Stunde, und was dem Vater, dem Arzt nicht gelungen, bewirkte Xaver durch ſein Schreiben. Hermenegilda entſchloß ſich ihn zu ſehen. In tiefem Schweigen, mit niedergeſenktem Blick empfing ſie ihn in ihrem Gemach. Xaver nahte ſich mit leiſem ſchwankenden Schritt, er nahm Platz vor dem Sopha, auf dem ſie ſaß, aber indem er ſich herabbeugte von dem Stuhl, kniete er mehr vor Hermenegilda, als daß er ſaß, und ſo flehte er in den ruͤhrendſten Ausdruͤcken, mit einem Ton, als habe er ſich des unverzeih¬ lichſten Verbrechens anzuklagen, nicht auf ſein Haupt moͤge ſie die Schuld des Irrthums laden, der ihn die Seligkeit des geliebten Freundes em¬ pfinden laſſen. Nicht ihn, nein Stanislaus ſelbſt habe ſie in der Wonne des Wiederſehens umarmt. Er uͤbergab den Brief, und fing an von Stanis¬ laus zu erzaͤhlen, wie er mit aͤchtritterlicher Treue
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Haſt des Augenblicks nicht mehr ſchreiben konnte.
Hermenegilda's Kammerfrau, die Xaver in ſein
Intereſſe gezogen, uͤbernahm die Beſtellung zur
guͤnſtigen Stunde, und was dem Vater, dem
Arzt nicht gelungen, bewirkte Xaver durch ſein
Schreiben. Hermenegilda entſchloß ſich ihn zu
ſehen. In tiefem Schweigen, mit niedergeſenktem
Blick empfing ſie ihn in ihrem Gemach. Xaver
nahte ſich mit leiſem ſchwankenden Schritt, er
nahm Platz vor dem Sopha, auf dem ſie ſaß,
aber indem er ſich herabbeugte von dem Stuhl,
kniete er mehr vor Hermenegilda, als daß er ſaß,
und ſo flehte er in den ruͤhrendſten Ausdruͤcken,
mit einem Ton, als habe er ſich des unverzeih¬
lichſten Verbrechens anzuklagen, nicht auf ſein
Haupt moͤge ſie die Schuld des Irrthums laden,
der ihn die Seligkeit des geliebten Freundes em¬
pfinden laſſen. Nicht ihn, nein Stanislaus ſelbſt
habe ſie in der Wonne des Wiederſehens umarmt.
Er uͤbergab den Brief, und fing an von Stanis¬
laus zu erzaͤhlen, wie er mit aͤchtritterlicher Treue
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[Hoffmann, E. T. A.]: Nachtstücke. Bd. 2. Berlin, 1817, S. 286. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/hoffmann_nachtstuecke02_1817/294>, abgerufen am 24.11.2024.
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