Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

[Hoffmann, E. T. A.]: Nachtstücke. Bd. 2. Berlin, 1817.

Bild:
<< vorherige Seite

genommen; den Rechten hatte Cölestine erfaßt,
alle Kraft aufbietend, den Räuber des Kindes
zurückzuhalten. Im Ringen riß der Offizier den
Schleier herab -- ein todtstarres marmorweißes
Antlitz, von schwarzen Locken umschattet, blickte
ihn an, glühende Strahlen aus den tiefen Augen¬
höhlen schießend, während schneidende Jammertöne
aus den halbgeöffneten unbewegten Lippen quollen.
Der Alte nahm wahr, daß Cölestine eine weiße,
dicht anschließende Maske trug. "Entsetzliches
Weib! willst du, daß auch mich deine Raserei
ergreife?" schrie der Offizier, indem er sich mit
Gewalt losriß, so daß Cölestine zu Boden stürzte.
Nun umfaßte sie aber seine Knie, indem sie mit
dem Ausdruck des unsäglichsten Schmerzes, mit
einem Ton, der das Herz durchschnitt, flehte:
"Laß mir das Kind! -- o laß mir das Kind! --
nicht um die ewige Seligkeit sollst du mich brin¬
gen. -- Um Christus -- um der heiligen Jung¬
frau willen -- laß mir das Kind -- laß mir
das Kind." -- Und bei diesen Jammertönen regte

genommen; den Rechten hatte Coͤleſtine erfaßt,
alle Kraft aufbietend, den Raͤuber des Kindes
zuruͤckzuhalten. Im Ringen riß der Offizier den
Schleier herab — ein todtſtarres marmorweißes
Antlitz, von ſchwarzen Locken umſchattet, blickte
ihn an, gluͤhende Strahlen aus den tiefen Augen¬
hoͤhlen ſchießend, waͤhrend ſchneidende Jammertoͤne
aus den halbgeoͤffneten unbewegten Lippen quollen.
Der Alte nahm wahr, daß Coͤleſtine eine weiße,
dicht anſchließende Maske trug. „Entſetzliches
Weib! willſt du, daß auch mich deine Raſerei
ergreife?“ ſchrie der Offizier, indem er ſich mit
Gewalt losriß, ſo daß Coͤleſtine zu Boden ſtuͤrzte.
Nun umfaßte ſie aber ſeine Knie, indem ſie mit
dem Ausdruck des unſaͤglichſten Schmerzes, mit
einem Ton, der das Herz durchſchnitt, flehte:
„Laß mir das Kind! — o laß mir das Kind! —
nicht um die ewige Seligkeit ſollſt du mich brin¬
gen. — Um Chriſtus — um der heiligen Jung¬
frau willen — laß mir das Kind — laß mir
das Kind.“ — Und bei dieſen Jammertoͤnen regte

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0278" n="270"/>
genommen; den Rechten hatte Co&#x0364;le&#x017F;tine erfaßt,<lb/>
alle Kraft aufbietend, den Ra&#x0364;uber des Kindes<lb/>
zuru&#x0364;ckzuhalten. Im Ringen riß der Offizier den<lb/>
Schleier herab &#x2014; ein todt&#x017F;tarres marmorweißes<lb/>
Antlitz, von &#x017F;chwarzen Locken um&#x017F;chattet, blickte<lb/>
ihn an, glu&#x0364;hende Strahlen aus den tiefen Augen¬<lb/>
ho&#x0364;hlen &#x017F;chießend, wa&#x0364;hrend &#x017F;chneidende Jammerto&#x0364;ne<lb/>
aus den halbgeo&#x0364;ffneten unbewegten Lippen quollen.<lb/>
Der Alte nahm wahr, daß Co&#x0364;le&#x017F;tine eine weiße,<lb/>
dicht an&#x017F;chließende Maske trug. &#x201E;Ent&#x017F;etzliches<lb/>
Weib! will&#x017F;t du, daß auch mich deine Ra&#x017F;erei<lb/>
ergreife?&#x201C; &#x017F;chrie der Offizier, indem er &#x017F;ich mit<lb/>
Gewalt losriß, &#x017F;o daß Co&#x0364;le&#x017F;tine zu Boden &#x017F;tu&#x0364;rzte.<lb/>
Nun umfaßte &#x017F;ie aber &#x017F;eine Knie, indem &#x017F;ie mit<lb/>
dem Ausdruck des un&#x017F;a&#x0364;glich&#x017F;ten Schmerzes, mit<lb/>
einem Ton, der das Herz durch&#x017F;chnitt, flehte:<lb/>
&#x201E;Laß mir das Kind! &#x2014; o laß mir das Kind! &#x2014;<lb/>
nicht um die ewige Seligkeit &#x017F;oll&#x017F;t du mich brin¬<lb/>
gen. &#x2014; Um Chri&#x017F;tus &#x2014; um der heiligen Jung¬<lb/>
frau willen &#x2014; laß mir das Kind &#x2014; laß mir<lb/>
das Kind.&#x201C; &#x2014; Und bei die&#x017F;en Jammerto&#x0364;nen regte<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[270/0278] genommen; den Rechten hatte Coͤleſtine erfaßt, alle Kraft aufbietend, den Raͤuber des Kindes zuruͤckzuhalten. Im Ringen riß der Offizier den Schleier herab — ein todtſtarres marmorweißes Antlitz, von ſchwarzen Locken umſchattet, blickte ihn an, gluͤhende Strahlen aus den tiefen Augen¬ hoͤhlen ſchießend, waͤhrend ſchneidende Jammertoͤne aus den halbgeoͤffneten unbewegten Lippen quollen. Der Alte nahm wahr, daß Coͤleſtine eine weiße, dicht anſchließende Maske trug. „Entſetzliches Weib! willſt du, daß auch mich deine Raſerei ergreife?“ ſchrie der Offizier, indem er ſich mit Gewalt losriß, ſo daß Coͤleſtine zu Boden ſtuͤrzte. Nun umfaßte ſie aber ſeine Knie, indem ſie mit dem Ausdruck des unſaͤglichſten Schmerzes, mit einem Ton, der das Herz durchſchnitt, flehte: „Laß mir das Kind! — o laß mir das Kind! — nicht um die ewige Seligkeit ſollſt du mich brin¬ gen. — Um Chriſtus — um der heiligen Jung¬ frau willen — laß mir das Kind — laß mir das Kind.“ — Und bei dieſen Jammertoͤnen regte

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/hoffmann_nachtstuecke02_1817
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/hoffmann_nachtstuecke02_1817/278
Zitationshilfe: [Hoffmann, E. T. A.]: Nachtstücke. Bd. 2. Berlin, 1817, S. 270. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/hoffmann_nachtstuecke02_1817/278>, abgerufen am 24.11.2024.