ihr den Mund verschloß. Frau und Tochter trieb der Alte fort, um für Wein und andere Erfri¬ schungen zu sorgen, er selbst ging in das Zimmer zurück. Getrösteter, gefaßter schien die verschlei¬ erte Dame, welche mit gebeugtem Haupt und ge¬ falteten Händen vor der Aebtissin stand. Diese verschmähte es nicht, etwas von den Erfrischungen anzunehmen, die ihr die Hausfrau darbot, dann rief sie: "Nun ist es Zeit!" Die verschleierte Dame sank nieder auf die Knie, die Aebtissin legte die Hände auf ihr Haupt und sprach leise Gebete. Als diese geendet, schloß sie, indem häufige Thrä¬ nen ihr über die Wangen rollten, die Verschleierte in die Arme und drückte sie heftig wie im Ueber¬ maß des Schmerzes an die Brust, dann gab sie gefaßt und würdevoll der Familie die Bene¬ diktion und eilte, vom Alten geleitet, rasch in den Wagen, vor dem die frisch angelegten Postpferde laut wieherten. In vollem Juchzen und Blasen jug der Postillion durch die Gassen zum Thore hinaus. Als nun die Hausfrau gewahrte, daß
ihr den Mund verſchloß. Frau und Tochter trieb der Alte fort, um fuͤr Wein und andere Erfri¬ ſchungen zu ſorgen, er ſelbſt ging in das Zimmer zuruͤck. Getroͤſteter, gefaßter ſchien die verſchlei¬ erte Dame, welche mit gebeugtem Haupt und ge¬ falteten Haͤnden vor der Aebtiſſin ſtand. Dieſe verſchmaͤhte es nicht, etwas von den Erfriſchungen anzunehmen, die ihr die Hausfrau darbot, dann rief ſie: „Nun iſt es Zeit!“ Die verſchleierte Dame ſank nieder auf die Knie, die Aebtiſſin legte die Haͤnde auf ihr Haupt und ſprach leiſe Gebete. Als dieſe geendet, ſchloß ſie, indem haͤufige Thraͤ¬ nen ihr uͤber die Wangen rollten, die Verſchleierte in die Arme und druͤckte ſie heftig wie im Ueber¬ maß des Schmerzes an die Bruſt, dann gab ſie gefaßt und wuͤrdevoll der Familie die Bene¬ diktion und eilte, vom Alten geleitet, raſch in den Wagen, vor dem die friſch angelegten Poſtpferde laut wieherten. In vollem Juchzen und Blaſen jug der Poſtillion durch die Gaſſen zum Thore hinaus. Als nun die Hausfrau gewahrte, daß
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ihr den Mund verſchloß. Frau und Tochter trieb
der Alte fort, um fuͤr Wein und andere Erfri¬
ſchungen zu ſorgen, er ſelbſt ging in das Zimmer
zuruͤck. Getroͤſteter, gefaßter ſchien die verſchlei¬
erte Dame, welche mit gebeugtem Haupt und ge¬
falteten Haͤnden vor der Aebtiſſin ſtand. Dieſe
verſchmaͤhte es nicht, etwas von den Erfriſchungen
anzunehmen, die ihr die Hausfrau darbot, dann rief
ſie: „Nun iſt es Zeit!“ Die verſchleierte Dame
ſank nieder auf die Knie, die Aebtiſſin legte die
Haͤnde auf ihr Haupt und ſprach leiſe Gebete.
Als dieſe geendet, ſchloß ſie, indem haͤufige Thraͤ¬
nen ihr uͤber die Wangen rollten, die Verſchleierte
in die Arme und druͤckte ſie heftig wie im Ueber¬
maß des Schmerzes an die Bruſt, dann gab ſie
gefaßt und wuͤrdevoll der Familie die Bene¬
diktion und eilte, vom Alten geleitet, raſch in den
Wagen, vor dem die friſch angelegten Poſtpferde
laut wieherten. In vollem Juchzen und Blaſen
jug der Poſtillion durch die Gaſſen zum Thore
hinaus. Als nun die Hausfrau gewahrte, daß
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[Hoffmann, E. T. A.]: Nachtstücke. Bd. 2. Berlin, 1817, S. 258. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/hoffmann_nachtstuecke02_1817/266>, abgerufen am 24.11.2024.
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