Drei Monate waren verflossen und der Tag ge¬ kommen, an dem, nach dem Willen des Verstorbe¬ nen, das Testament in R., wo es niedergelegt worden, eröffnet werden sollte. Außer den Ge¬ richtspersonen, dem Baron und V. befand sich noch ein junger Mensch von edlem Ansehn in dem Ge¬ richtssaal, den V. mitgebracht, und den man, da ihm ein eingeknöpftes Aktenstück aus dem Busen hervorragte, für V..s Schreiber hielt. Der Baron sah ihn, wie er es beinahe mit allen übrigen machte, über die Achsel an, und verlangte stürmisch, daß man die langweilige überflüssige Ceremonie nur schnell und ohne viele Worte und Schreiberei ab¬ machen solle. Er begreife nicht, wie es überhaupt in dieser Erbangelegenheit, wenigstens Hinsichts des Majorats, auf ein Testament ankommen könne, und werde, in so fern hier irgend etwas verfügt seyn solle, es lediglich von seinem Willen abhängen, das zu beachten oder nicht. Hand und Siegel des verstorbenen Vaters erkannte der Baron an, nach¬ dem er einen flüchtigen mürrischen Blick darauf ge¬
Drei Monate waren verfloſſen und der Tag ge¬ kommen, an dem, nach dem Willen des Verſtorbe¬ nen, das Teſtament in R., wo es niedergelegt worden, eroͤffnet werden ſollte. Außer den Ge¬ richtsperſonen, dem Baron und V. befand ſich noch ein junger Menſch von edlem Anſehn in dem Ge¬ richtsſaal, den V. mitgebracht, und den man, da ihm ein eingeknoͤpftes Aktenſtuͤck aus dem Buſen hervorragte, fuͤr V..s Schreiber hielt. Der Baron ſah ihn, wie er es beinahe mit allen uͤbrigen machte, uͤber die Achſel an, und verlangte ſtuͤrmiſch, daß man die langweilige uͤberfluͤſſige Ceremonie nur ſchnell und ohne viele Worte und Schreiberei ab¬ machen ſolle. Er begreife nicht, wie es uͤberhaupt in dieſer Erbangelegenheit, wenigſtens Hinſichts des Majorats, auf ein Teſtament ankommen koͤnne, und werde, in ſo fern hier irgend etwas verfuͤgt ſeyn ſolle, es lediglich von ſeinem Willen abhaͤngen, das zu beachten oder nicht. Hand und Siegel des verſtorbenen Vaters erkannte der Baron an, nach¬ dem er einen fluͤchtigen muͤrriſchen Blick darauf ge¬
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Drei Monate waren verfloſſen und der Tag ge¬
kommen, an dem, nach dem Willen des Verſtorbe¬
nen, das Teſtament in R., wo es niedergelegt
worden, eroͤffnet werden ſollte. Außer den Ge¬
richtsperſonen, dem Baron und V. befand ſich noch
ein junger Menſch von edlem Anſehn in dem Ge¬
richtsſaal, den V. mitgebracht, und den man, da
ihm ein eingeknoͤpftes Aktenſtuͤck aus dem Buſen
hervorragte, fuͤr V..s Schreiber hielt. Der Baron
ſah ihn, wie er es beinahe mit allen uͤbrigen machte,
uͤber die Achſel an, und verlangte ſtuͤrmiſch, daß
man die langweilige uͤberfluͤſſige Ceremonie nur
ſchnell und ohne viele Worte und Schreiberei ab¬
machen ſolle. Er begreife nicht, wie es uͤberhaupt
in dieſer Erbangelegenheit, wenigſtens Hinſichts des
Majorats, auf ein Teſtament ankommen koͤnne,
und werde, in ſo fern hier irgend etwas verfuͤgt
ſeyn ſolle, es lediglich von ſeinem Willen abhaͤngen,
das zu beachten oder nicht. Hand und Siegel des
verſtorbenen Vaters erkannte der Baron an, nach¬
dem er einen fluͤchtigen muͤrriſchen Blick darauf ge¬
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[Hoffmann, E. T. A.]: Nachtstücke. Bd. 2. Berlin, 1817, S. 213. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/hoffmann_nachtstuecke02_1817/221>, abgerufen am 27.11.2024.
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