Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

[Hoffmann, E. T. A.]: Nachtstücke. Bd. 1. Berlin, 1817.

Bild:
<< vorherige Seite

Gleich nachdem Isabella in das Lager einge¬
zogen, ließ sie in dessen Mitte ein hohes hölzer¬
nes Gebäude mit Thürmen aufführen, von deren
Spitzen die Kreuzesfahne herabwehte. Das In¬
nere wurde zum Kloster und zur Kirche eingerich¬
tet, und Benediktiner-Nonnen zogen ein, tägli¬
chen Gottesdienst übend. Die Königin, von ihrem
Gefolge, von ihren Rittern begleitet, jeden Mor¬
gen, die Messe zu hören, die ihr Beichtvater las,
von dem Gesange der im Chor versammelten
Nonnen unterstützt. Da begab es sich, daß
Isabella an einem Morgen eine Stimme ver¬
nahm, die mit wunderbarem Glockenklang die
andern Stimmen im Chor übertönte. Der Ge¬
sang war anzuhören wie das siegende Schmettern
einer Nachtigall, die, die Fürstin des Hains, dem
jauchzenden Volk gebietet. Und doch war die
Aussprache der Worte so fremdartig und selbst
die sonderbare ganz eigenthümliche Art des Ge¬
sanges that kund, daß eine Sängerin des kirchli¬
chen Styls noch ungewohnt, vielleicht zum ersten¬

Gleich nachdem Iſabella in das Lager einge¬
zogen, ließ ſie in deſſen Mitte ein hohes hoͤlzer¬
nes Gebaͤude mit Thuͤrmen auffuͤhren, von deren
Spitzen die Kreuzesfahne herabwehte. Das In¬
nere wurde zum Kloſter und zur Kirche eingerich¬
tet, und Benediktiner-Nonnen zogen ein, taͤgli¬
chen Gottesdienſt uͤbend. Die Koͤnigin, von ihrem
Gefolge, von ihren Rittern begleitet, jeden Mor¬
gen, die Meſſe zu hoͤren, die ihr Beichtvater las,
von dem Geſange der im Chor verſammelten
Nonnen unterſtuͤtzt. Da begab es ſich, daß
Iſabella an einem Morgen eine Stimme ver¬
nahm, die mit wunderbarem Glockenklang die
andern Stimmen im Chor uͤbertoͤnte. Der Ge¬
ſang war anzuhoͤren wie das ſiegende Schmettern
einer Nachtigall, die, die Fuͤrſtin des Hains, dem
jauchzenden Volk gebietet. Und doch war die
Ausſprache der Worte ſo fremdartig und ſelbſt
die ſonderbare ganz eigenthuͤmliche Art des Ge¬
ſanges that kund, daß eine Saͤngerin des kirchli¬
chen Styls noch ungewohnt, vielleicht zum erſten¬

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0306" n="298"/>
Gleich nachdem <hi rendition="#g">I&#x017F;abella</hi> in das Lager einge¬<lb/>
zogen, ließ &#x017F;ie in de&#x017F;&#x017F;en Mitte ein hohes ho&#x0364;lzer¬<lb/>
nes Geba&#x0364;ude mit Thu&#x0364;rmen auffu&#x0364;hren, von deren<lb/>
Spitzen die Kreuzesfahne herabwehte. Das In¬<lb/>
nere wurde zum Klo&#x017F;ter und zur Kirche eingerich¬<lb/>
tet, und Benediktiner-Nonnen zogen ein, ta&#x0364;gli¬<lb/>
chen Gottesdien&#x017F;t u&#x0364;bend. Die Ko&#x0364;nigin, von ihrem<lb/>
Gefolge, von ihren Rittern begleitet, jeden Mor¬<lb/>
gen, die Me&#x017F;&#x017F;e zu ho&#x0364;ren, die ihr Beichtvater las,<lb/>
von dem Ge&#x017F;ange der im Chor ver&#x017F;ammelten<lb/>
Nonnen unter&#x017F;tu&#x0364;tzt. Da begab es &#x017F;ich, daß<lb/><hi rendition="#g">I&#x017F;abella</hi> an einem Morgen eine Stimme ver¬<lb/>
nahm, die mit wunderbarem Glockenklang die<lb/>
andern Stimmen im Chor u&#x0364;berto&#x0364;nte. Der Ge¬<lb/>
&#x017F;ang war anzuho&#x0364;ren wie das &#x017F;iegende Schmettern<lb/>
einer Nachtigall, die, die Fu&#x0364;r&#x017F;tin des Hains, dem<lb/>
jauchzenden Volk gebietet. Und doch war die<lb/>
Aus&#x017F;prache der Worte &#x017F;o fremdartig und &#x017F;elb&#x017F;t<lb/>
die &#x017F;onderbare ganz eigenthu&#x0364;mliche Art des Ge¬<lb/>
&#x017F;anges that kund, daß eine Sa&#x0364;ngerin des kirchli¬<lb/>
chen Styls noch ungewohnt, vielleicht zum er&#x017F;ten¬<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[298/0306] Gleich nachdem Iſabella in das Lager einge¬ zogen, ließ ſie in deſſen Mitte ein hohes hoͤlzer¬ nes Gebaͤude mit Thuͤrmen auffuͤhren, von deren Spitzen die Kreuzesfahne herabwehte. Das In¬ nere wurde zum Kloſter und zur Kirche eingerich¬ tet, und Benediktiner-Nonnen zogen ein, taͤgli¬ chen Gottesdienſt uͤbend. Die Koͤnigin, von ihrem Gefolge, von ihren Rittern begleitet, jeden Mor¬ gen, die Meſſe zu hoͤren, die ihr Beichtvater las, von dem Geſange der im Chor verſammelten Nonnen unterſtuͤtzt. Da begab es ſich, daß Iſabella an einem Morgen eine Stimme ver¬ nahm, die mit wunderbarem Glockenklang die andern Stimmen im Chor uͤbertoͤnte. Der Ge¬ ſang war anzuhoͤren wie das ſiegende Schmettern einer Nachtigall, die, die Fuͤrſtin des Hains, dem jauchzenden Volk gebietet. Und doch war die Ausſprache der Worte ſo fremdartig und ſelbſt die ſonderbare ganz eigenthuͤmliche Art des Ge¬ ſanges that kund, daß eine Saͤngerin des kirchli¬ chen Styls noch ungewohnt, vielleicht zum erſten¬

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/hoffmann_nachtstuecke01_1817
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/hoffmann_nachtstuecke01_1817/306
Zitationshilfe: [Hoffmann, E. T. A.]: Nachtstücke. Bd. 1. Berlin, 1817, S. 298. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/hoffmann_nachtstuecke01_1817/306>, abgerufen am 23.11.2024.