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[Hoffmann, E. T. A.]: Nachtstücke. Bd. 1. Berlin, 1817.

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Kirche gehen! Da Berthold die ganze Nacht
hindurch mit Anstrengung gearbeitet hat, wird
er heute Vormittags rasten. Wenn wir ihn in
der Kirche fänden, wäre mein Zweck verfehlt."
Wir gingen nach der Kirche, der Professor ließ
das Tuch von dem verhängten Gemählde herun¬
ternehmen und in zauberischem Glanze ging vor
mir ein Gemählde auf, wie ich es nie gesehen.
Die Composition war wie Raphaels Styl, einfach
und himmlisch erhaben! -- Maria und Elisabeth
in einem schönen Garten auf einem Rasen sitzend,
vor ihnen die Kinder Johannes und Christus mit
Blumen spielend, im Hintergrunde seitwärts eine
betende männliche Figur! -- Maria's holdes
himmlisches Gesicht, die Hoheit und Frömmigkeit
ihrer ganzen Figur erfüllten mich mit Staunen
und tiefer Bewunderung. Sie war schön, schö¬
ner als je ein Weib auf Erden, aber so wie Ra¬
phaels Maria in der Dresdner Gallerie ver¬
kündete ihr Blick die höhere Macht der Gottes-
Mutter. Ach! mußte vor diesen wunderbaren,

Kirche gehen! Da Berthold die ganze Nacht
hindurch mit Anſtrengung gearbeitet hat, wird
er heute Vormittags raſten. Wenn wir ihn in
der Kirche faͤnden, waͤre mein Zweck verfehlt.“
Wir gingen nach der Kirche, der Profeſſor ließ
das Tuch von dem verhaͤngten Gemaͤhlde herun¬
ternehmen und in zauberiſchem Glanze ging vor
mir ein Gemaͤhlde auf, wie ich es nie geſehen.
Die Compoſition war wie Raphaels Styl, einfach
und himmliſch erhaben! — Maria und Eliſabeth
in einem ſchoͤnen Garten auf einem Raſen ſitzend,
vor ihnen die Kinder Johannes und Chriſtus mit
Blumen ſpielend, im Hintergrunde ſeitwaͤrts eine
betende maͤnnliche Figur! — Maria's holdes
himmliſches Geſicht, die Hoheit und Froͤmmigkeit
ihrer ganzen Figur erfuͤllten mich mit Staunen
und tiefer Bewunderung. Sie war ſchoͤn, ſchoͤ¬
ner als je ein Weib auf Erden, aber ſo wie Ra¬
phaels Maria in der Dresdner Gallerie ver¬
kuͤndete ihr Blick die hoͤhere Macht der Gottes-
Mutter. Ach! mußte vor dieſen wunderbaren,

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[236/0244] Kirche gehen! Da Berthold die ganze Nacht hindurch mit Anſtrengung gearbeitet hat, wird er heute Vormittags raſten. Wenn wir ihn in der Kirche faͤnden, waͤre mein Zweck verfehlt.“ Wir gingen nach der Kirche, der Profeſſor ließ das Tuch von dem verhaͤngten Gemaͤhlde herun¬ ternehmen und in zauberiſchem Glanze ging vor mir ein Gemaͤhlde auf, wie ich es nie geſehen. Die Compoſition war wie Raphaels Styl, einfach und himmliſch erhaben! — Maria und Eliſabeth in einem ſchoͤnen Garten auf einem Raſen ſitzend, vor ihnen die Kinder Johannes und Chriſtus mit Blumen ſpielend, im Hintergrunde ſeitwaͤrts eine betende maͤnnliche Figur! — Maria's holdes himmliſches Geſicht, die Hoheit und Froͤmmigkeit ihrer ganzen Figur erfuͤllten mich mit Staunen und tiefer Bewunderung. Sie war ſchoͤn, ſchoͤ¬ ner als je ein Weib auf Erden, aber ſo wie Ra¬ phaels Maria in der Dresdner Gallerie ver¬ kuͤndete ihr Blick die hoͤhere Macht der Gottes- Mutter. Ach! mußte vor dieſen wunderbaren,

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Zitationshilfe: [Hoffmann, E. T. A.]: Nachtstücke. Bd. 1. Berlin, 1817, S. 236. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/hoffmann_nachtstuecke01_1817/244>, abgerufen am 23.11.2024.