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[Hoffmann, E. T. A.]: Nachtstücke. Bd. 1. Berlin, 1817.

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ich, "ich meine, daß ihr zu etwas besserem taugt,
als Kirchenwände mit Marmorsäulen zu bemah¬
len. Architektur-Mahlerei bleibt doch immer et¬
was untergeordnetes; der Historien-Mahler, der
Landschafter steht unbedingt höher. Geist und
Fantasie, nicht in die engen Schranken geome¬
trischer Linien gebannt, erheben sich in freiem
Fluge. Selbst das einzige Fantastische Eurer
Mahlerei, die sinnetäuschende Perspektive, hängt
von genauer Berechnung ab, und so ist die Wir¬
kung das Erzeugniß, nicht des genialen Gedan¬
kens, sondern nur mathematischer Spekulation."
Der Mahler hatte, während ich dies sprach,
den Pinsel abgesetzt, und den Kopf in die Hand
gestützt. "Unbekannter Freund," fing er jetzt mit
dumpfer feierlicher Stimme an: "Unbekannter
Freund, Du frevelst, wenn Du die verschiedenen
Zweige der Kunst in Rangordnung stellen willst,
wie die Vasallen eines stolzen Königs. Und noch
größerer Frevel ist es, wenn Du nur die Ver¬
wegenen achtest, welche taub für das Klirren

ich, „ich meine, daß ihr zu etwas beſſerem taugt,
als Kirchenwaͤnde mit Marmorſaͤulen zu bemah¬
len. Architektur-Mahlerei bleibt doch immer et¬
was untergeordnetes; der Hiſtorien-Mahler, der
Landſchafter ſteht unbedingt hoͤher. Geiſt und
Fantaſie, nicht in die engen Schranken geome¬
triſcher Linien gebannt, erheben ſich in freiem
Fluge. Selbſt das einzige Fantaſtiſche Eurer
Mahlerei, die ſinnetaͤuſchende Perſpektive, haͤngt
von genauer Berechnung ab, und ſo iſt die Wir¬
kung das Erzeugniß, nicht des genialen Gedan¬
kens, ſondern nur mathematiſcher Spekulation.“
Der Mahler hatte, waͤhrend ich dies ſprach,
den Pinſel abgeſetzt, und den Kopf in die Hand
geſtuͤtzt. „Unbekannter Freund,“ fing er jetzt mit
dumpfer feierlicher Stimme an: „Unbekannter
Freund, Du frevelſt, wenn Du die verſchiedenen
Zweige der Kunſt in Rangordnung ſtellen willſt,
wie die Vaſallen eines ſtolzen Koͤnigs. Und noch
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wegenen achteſt, welche taub fuͤr das Klirren

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[226/0234] ich, „ich meine, daß ihr zu etwas beſſerem taugt, als Kirchenwaͤnde mit Marmorſaͤulen zu bemah¬ len. Architektur-Mahlerei bleibt doch immer et¬ was untergeordnetes; der Hiſtorien-Mahler, der Landſchafter ſteht unbedingt hoͤher. Geiſt und Fantaſie, nicht in die engen Schranken geome¬ triſcher Linien gebannt, erheben ſich in freiem Fluge. Selbſt das einzige Fantaſtiſche Eurer Mahlerei, die ſinnetaͤuſchende Perſpektive, haͤngt von genauer Berechnung ab, und ſo iſt die Wir¬ kung das Erzeugniß, nicht des genialen Gedan¬ kens, ſondern nur mathematiſcher Spekulation.“ Der Mahler hatte, waͤhrend ich dies ſprach, den Pinſel abgeſetzt, und den Kopf in die Hand geſtuͤtzt. „Unbekannter Freund,“ fing er jetzt mit dumpfer feierlicher Stimme an: „Unbekannter Freund, Du frevelſt, wenn Du die verſchiedenen Zweige der Kunſt in Rangordnung ſtellen willſt, wie die Vaſallen eines ſtolzen Koͤnigs. Und noch groͤßerer Frevel iſt es, wenn Du nur die Ver¬ wegenen achteſt, welche taub fuͤr das Klirren

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Zitationshilfe: [Hoffmann, E. T. A.]: Nachtstücke. Bd. 1. Berlin, 1817, S. 226. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/hoffmann_nachtstuecke01_1817/234>, abgerufen am 24.11.2024.