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Hoffmann, E. T. A.: Meister Floh. Frankfurt (Main), 1822.

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Die Kleine schwieg, sie schien ganz einschlummern
zu wollen. Peregrinus übernahm das gefährliche Wa¬
gestück, sie in eine bequemere Stellung zu bringen.
Doch so wie er die Holde sanft umschlang, stach ihn
eine versteckte Nadel recht derb in den Finger. Seiner
Gewohnheit nach, schnippte er mit dem Daumen.
Meister Floh hielt das aber für das verabredete Zei¬
chen und setzte ihm augenblicklich das mikroskopische
Glas in die Pupille.

So wie immer erblickte Peregrinus hinter der
Hornhaut der Augen, das seltsame Geflecht der Ner¬
ven und Adern, die bis in das tiefe Gehirn hinein¬
gingen. Aber durch dieß Geflecht schlangen sich hell¬
blinkende Silberfaden, wohl hundertmal dünner als
die Faden des dünnesten Spinngewebes und eben diese
Faden, die endlos zu seyn schienen, da sie sich hin¬
ausrankten aus dem Gehirn in ein, selbst dem mi¬
kroskopischen Auge unentdeckbares Etwas, verwirrten,
vielleicht Gedanken sublimerer Art, die andern von
leichter zu erfassender Gattung. Peregrinus gewahrte
bunt durcheinander Blumen, die sich zu Menschen ge¬
stalteten, dann wieder Menschen, die in die Erde
zerflossen und dann als Steine, Metalle, hervor¬
blickten. Und dazwischen bewegten sich allerlei selt¬
same Thiere, die sich unzählige Mal verwandelten und

Die Kleine ſchwieg, ſie ſchien ganz einſchlummern
zu wollen. Peregrinus übernahm das gefährliche Wa¬
geſtück, ſie in eine bequemere Stellung zu bringen.
Doch ſo wie er die Holde ſanft umſchlang, ſtach ihn
eine verſteckte Nadel recht derb in den Finger. Seiner
Gewohnheit nach, ſchnippte er mit dem Daumen.
Meiſter Floh hielt das aber für das verabredete Zei¬
chen und ſetzte ihm augenblicklich das mikroskopiſche
Glas in die Pupille.

So wie immer erblickte Peregrinus hinter der
Hornhaut der Augen, das ſeltſame Geflecht der Ner¬
ven und Adern, die bis in das tiefe Gehirn hinein¬
gingen. Aber durch dieß Geflecht ſchlangen ſich hell¬
blinkende Silberfaden, wohl hundertmal dünner als
die Faden des dünneſten Spinngewebes und eben dieſe
Faden, die endlos zu ſeyn ſchienen, da ſie ſich hin¬
ausrankten aus dem Gehirn in ein, ſelbſt dem mi¬
kroskopiſchen Auge unentdeckbares Etwas, verwirrten,
vielleicht Gedanken ſublimerer Art, die andern von
leichter zu erfaſſender Gattung. Peregrinus gewahrte
bunt durcheinander Blumen, die ſich zu Menſchen ge¬
ſtalteten, dann wieder Menſchen, die in die Erde
zerfloſſen und dann als Steine, Metalle, hervor¬
blickten. Und dazwiſchen bewegten ſich allerlei ſelt¬
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[144/0149] Die Kleine ſchwieg, ſie ſchien ganz einſchlummern zu wollen. Peregrinus übernahm das gefährliche Wa¬ geſtück, ſie in eine bequemere Stellung zu bringen. Doch ſo wie er die Holde ſanft umſchlang, ſtach ihn eine verſteckte Nadel recht derb in den Finger. Seiner Gewohnheit nach, ſchnippte er mit dem Daumen. Meiſter Floh hielt das aber für das verabredete Zei¬ chen und ſetzte ihm augenblicklich das mikroskopiſche Glas in die Pupille. So wie immer erblickte Peregrinus hinter der Hornhaut der Augen, das ſeltſame Geflecht der Ner¬ ven und Adern, die bis in das tiefe Gehirn hinein¬ gingen. Aber durch dieß Geflecht ſchlangen ſich hell¬ blinkende Silberfaden, wohl hundertmal dünner als die Faden des dünneſten Spinngewebes und eben dieſe Faden, die endlos zu ſeyn ſchienen, da ſie ſich hin¬ ausrankten aus dem Gehirn in ein, ſelbſt dem mi¬ kroskopiſchen Auge unentdeckbares Etwas, verwirrten, vielleicht Gedanken ſublimerer Art, die andern von leichter zu erfaſſender Gattung. Peregrinus gewahrte bunt durcheinander Blumen, die ſich zu Menſchen ge¬ ſtalteten, dann wieder Menſchen, die in die Erde zerfloſſen und dann als Steine, Metalle, hervor¬ blickten. Und dazwiſchen bewegten ſich allerlei ſelt¬ ſame Thiere, die ſich unzählige Mal verwandelten und

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Zitationshilfe: Hoffmann, E. T. A.: Meister Floh. Frankfurt (Main), 1822, S. 144. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/hoffmann_floh_1822/149>, abgerufen am 25.11.2024.