ich lebhaft jenes Augenblicks meiner Kinder¬ jahre, meine Mutter stand wieder vor mir, ich vergoß heiße Thränen, aber nicht weg¬ wenden konnte ich den Blick von dem frem¬ den herrlichen Mann, der mich mit leben¬ dig strahlenden Augen anschaute. Man hatte wahrscheinlich meinem Vater gleich gemeldet was sich zugetragen, er trat herein, als ich noch vor dem Bilde stand. Nur einen Blick hatte er darauf geworfen, als er, von Entse¬ tzen ergriffen, stehen blieb und dumpf in sich hineinmurmelte: Francesko, Francesko! Darauf wandte er sich rasch zu den Arbei¬ tern, und befahl mit starker Stimme: "Man breche sogleich das Bild aus der Wand, rol¬ le es auf und übergebe es Reinhold." Es war mir, als solle ich den schönen herrli¬ chen Mann, der in seinem wunderbaren Ge¬ wande mir, wie ein hoher Geisterfürst vor¬ kam, niemals wiedersehen, und doch hielt mich eine unüberwindliche Scheu zurück, den Vater zu bitten, das Bild ja nicht ver¬
ich lebhaft jenes Augenblicks meiner Kinder¬ jahre, meine Mutter ſtand wieder vor mir, ich vergoß heiße Thraͤnen, aber nicht weg¬ wenden konnte ich den Blick von dem frem¬ den herrlichen Mann, der mich mit leben¬ dig ſtrahlenden Augen anſchaute. Man hatte wahrſcheinlich meinem Vater gleich gemeldet was ſich zugetragen, er trat herein, als ich noch vor dem Bilde ſtand. Nur einen Blick hatte er darauf geworfen, als er, von Entſe¬ tzen ergriffen, ſtehen blieb und dumpf in ſich hineinmurmelte: Francesko, Francesko! Darauf wandte er ſich raſch zu den Arbei¬ tern, und befahl mit ſtarker Stimme: „Man breche ſogleich das Bild aus der Wand, rol¬ le es auf und uͤbergebe es Reinhold.“ Es war mir, als ſolle ich den ſchoͤnen herrli¬ chen Mann, der in ſeinem wunderbaren Ge¬ wande mir, wie ein hoher Geiſterfuͤrſt vor¬ kam, niemals wiederſehen, und doch hielt mich eine unuͤberwindliche Scheu zuruͤck, den Vater zu bitten, das Bild ja nicht ver¬
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><divn="3"><p><pbfacs="#f0130"n="122"/>
ich lebhaft jenes Augenblicks meiner Kinder¬<lb/>
jahre, meine Mutter ſtand wieder vor mir,<lb/>
ich vergoß heiße Thraͤnen, aber nicht weg¬<lb/>
wenden konnte ich den Blick von dem frem¬<lb/>
den herrlichen Mann, der mich mit leben¬<lb/>
dig ſtrahlenden Augen anſchaute. Man hatte<lb/>
wahrſcheinlich meinem Vater gleich gemeldet<lb/>
was ſich zugetragen, er trat herein, als ich<lb/>
noch vor dem Bilde ſtand. Nur einen Blick<lb/>
hatte er darauf geworfen, als er, von Entſe¬<lb/>
tzen ergriffen, ſtehen blieb und dumpf in<lb/>ſich hineinmurmelte: Francesko, Francesko!<lb/>
Darauf wandte er ſich raſch zu den Arbei¬<lb/>
tern, und befahl mit ſtarker Stimme: „Man<lb/>
breche ſogleich das Bild aus der Wand, rol¬<lb/>
le es auf und uͤbergebe es Reinhold.“ Es<lb/>
war mir, als ſolle ich den ſchoͤnen herrli¬<lb/>
chen Mann, der in ſeinem wunderbaren Ge¬<lb/>
wande mir, wie ein hoher Geiſterfuͤrſt vor¬<lb/>
kam, niemals wiederſehen, und doch hielt<lb/>
mich eine unuͤberwindliche Scheu zuruͤck,<lb/>
den Vater zu bitten, das Bild ja nicht ver¬<lb/></p></div></div></div></body></text></TEI>
[122/0130]
ich lebhaft jenes Augenblicks meiner Kinder¬
jahre, meine Mutter ſtand wieder vor mir,
ich vergoß heiße Thraͤnen, aber nicht weg¬
wenden konnte ich den Blick von dem frem¬
den herrlichen Mann, der mich mit leben¬
dig ſtrahlenden Augen anſchaute. Man hatte
wahrſcheinlich meinem Vater gleich gemeldet
was ſich zugetragen, er trat herein, als ich
noch vor dem Bilde ſtand. Nur einen Blick
hatte er darauf geworfen, als er, von Entſe¬
tzen ergriffen, ſtehen blieb und dumpf in
ſich hineinmurmelte: Francesko, Francesko!
Darauf wandte er ſich raſch zu den Arbei¬
tern, und befahl mit ſtarker Stimme: „Man
breche ſogleich das Bild aus der Wand, rol¬
le es auf und uͤbergebe es Reinhold.“ Es
war mir, als ſolle ich den ſchoͤnen herrli¬
chen Mann, der in ſeinem wunderbaren Ge¬
wande mir, wie ein hoher Geiſterfuͤrſt vor¬
kam, niemals wiederſehen, und doch hielt
mich eine unuͤberwindliche Scheu zuruͤck,
den Vater zu bitten, das Bild ja nicht ver¬
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sie haben einen Fehler gefunden?
Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform
DTAQ melden.
Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend
gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien
von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem
DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.
[Hoffmann, E. T. A.]: Die Elixiere des Teufels. Bd. 2. Berlin, 1816, S. 122. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/hoffmann_elixiere02_1816/130>, abgerufen am 04.12.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.