Hölderlin, Friedrich: Hyperion. Zweiter Band. Tübingen, 1799.der Tiefverständige, der Tapfre, der Edle! Wo ist ein Mann, wenn ers nicht war? Und wenn er freundlich war und fromm, da wars, wie wenn das Abendlicht im Dunkel der majestätischen Eiche spielt und ihre Blätter träufeln vom Gewitter des Tags. Hyperion an Bellarmin. Es war in den schönen Tagen des Herbsts, da ich von meiner Wunde halbgenesen zum erstenmale wieder ans Fenster trat. Ich kam mit stilleren Sinnen wieder ins Leben und meine Seele war aufmerksamer geworden. Mit seinem leisesten Zauber wehte der Himmel mich an, und mild, wie ein Blüthenregen, flossen die heitern Sonnenstrahlen herab. Es war ein großer, stiller, zärtlicher Geist in dieser Jahrszeit, und die Vollendungsruhe, die Wonne der Zeitigung in den säuselnden Zweigen umfieng mich, wie die erneuerte Jugend, so die Alten in ihrem Elysium hofften. Ich hatt' es lange nicht mit reiner Seele genossen, das kindliche Leben der Welt, nun that mein Auge sich auf mit aller Freude des Wiedersehens und die seelige Natur war wandellos in ihrer Schöne geblieben. Meine Thränen flossen, wie ein Sühnopfer, vor ihr, und der Tiefverständige, der Tapfre, der Edle! Wo ist ein Mann, wenn ers nicht war? Und wenn er freundlich war und fromm, da wars, wie wenn das Abendlicht im Dunkel der majestätischen Eiche spielt und ihre Blätter träufeln vom Gewitter des Tags. Hyperion an Bellarmin. Es war in den schönen Tagen des Herbsts, da ich von meiner Wunde halbgenesen zum erstenmale wieder ans Fenster trat. Ich kam mit stilleren Sinnen wieder ins Leben und meine Seele war aufmerksamer geworden. Mit seinem leisesten Zauber wehte der Himmel mich an, und mild, wie ein Blüthenregen, flossen die heitern Sonnenstrahlen herab. Es war ein großer, stiller, zärtlicher Geist in dieser Jahrszeit, und die Vollendungsruhe, die Wonne der Zeitigung in den säuselnden Zweigen umfieng mich, wie die erneuerte Jugend, so die Alten in ihrem Elysium hofften. Ich hatt’ es lange nicht mit reiner Seele genossen, das kindliche Leben der Welt, nun that mein Auge sich auf mit aller Freude des Wiedersehens und die seelige Natur war wandellos in ihrer Schöne geblieben. Meine Thränen flossen, wie ein Sühnopfer, vor ihr, und <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div type="chapter" n="2"> <p><pb facs="#f0063"/> der Tiefverständige, der Tapfre, der Edle! Wo ist ein Mann, wenn ers nicht war? Und wenn er freundlich war und fromm, da wars, wie wenn das Abendlicht im Dunkel der majestätischen Eiche spielt und ihre Blätter träufeln vom Gewitter des Tags.</p><lb/> </div><lb/> <div type="chapter" n="2"> <head><hi rendition="#g #k">Hyperion</hi> an <hi rendition="#g #k">Bellarmin</hi>.</head><lb/> <p>Es war in den schönen Tagen des Herbsts, da ich von meiner Wunde halbgenesen zum erstenmale wieder ans Fenster trat. Ich kam mit stilleren Sinnen wieder ins Leben und meine Seele war aufmerksamer geworden. Mit seinem leisesten Zauber wehte der Himmel mich an, und mild, wie ein Blüthenregen, flossen die heitern Sonnenstrahlen herab. Es war ein großer, stiller, zärtlicher Geist in dieser Jahrszeit, und die Vollendungsruhe, die Wonne der Zeitigung in den säuselnden Zweigen umfieng mich, wie die erneuerte Jugend, so die Alten in ihrem Elysium hofften.</p><lb/> <p>Ich hatt’ es lange nicht mit reiner Seele genossen, das kindliche Leben der Welt, nun that mein Auge sich auf mit aller Freude des Wiedersehens und die seelige Natur war wandellos in ihrer Schöne geblieben. Meine Thränen flossen, wie ein Sühnopfer, vor ihr, und </p> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0063]
der Tiefverständige, der Tapfre, der Edle! Wo ist ein Mann, wenn ers nicht war? Und wenn er freundlich war und fromm, da wars, wie wenn das Abendlicht im Dunkel der majestätischen Eiche spielt und ihre Blätter träufeln vom Gewitter des Tags.
Hyperion an Bellarmin.
Es war in den schönen Tagen des Herbsts, da ich von meiner Wunde halbgenesen zum erstenmale wieder ans Fenster trat. Ich kam mit stilleren Sinnen wieder ins Leben und meine Seele war aufmerksamer geworden. Mit seinem leisesten Zauber wehte der Himmel mich an, und mild, wie ein Blüthenregen, flossen die heitern Sonnenstrahlen herab. Es war ein großer, stiller, zärtlicher Geist in dieser Jahrszeit, und die Vollendungsruhe, die Wonne der Zeitigung in den säuselnden Zweigen umfieng mich, wie die erneuerte Jugend, so die Alten in ihrem Elysium hofften.
Ich hatt’ es lange nicht mit reiner Seele genossen, das kindliche Leben der Welt, nun that mein Auge sich auf mit aller Freude des Wiedersehens und die seelige Natur war wandellos in ihrer Schöne geblieben. Meine Thränen flossen, wie ein Sühnopfer, vor ihr, und
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