Hölderlin, Friedrich: Hyperion. Erster Band. Tübingen, 1797.sich sagt, du musst hinunter und nichts bleibt übrig von dir; keine Blume hast du gepflanzt, keine Hütte gebaut, nur dass du sagen könntest: ich lasse eine Spur zurük auf Erden. Ach! und die Seele kann immer so voll Sehnens seyn, bei dem, dass sie so muthlos ist! Ich suchte immer etwas, aber ich wagte das Auge nicht aufzuschlagen vor den Menschen. Ich hatte Stunden, wo ich das Lachen eines Kindes fürchtete. Dabei war ich meist sehr still und geduldig, hatte oft auch einen wunderbaren Aberglauben an die Heilkraft mancher Dinge; von einer Taube, die ich kaufte, von einer Kahnfahrt, von einem Thale, das die Berge mir verbargen, konnt' ich Trost erwarten. Genug! genug! wär' ich mit Themistocles aufgewachsen, hätt' ich unter den Scipionen gelebt, meine Seele hätte sich wahrlich nie von dieser Seite kennen gelernt. Hyperion an Bellarmin. Zuweilen regte noch sich eine Geisteskraft in mir. Aber freilich nur zerstörend! Was ist der Mensch? konnt' ich beginnen; wie kommt es, dass so etwas in der Welt ist, das, wie ein Chaos, gährt, oder modert, wie sich sagt, du musst hinunter und nichts bleibt übrig von dir; keine Blume hast du gepflanzt, keine Hütte gebaut, nur dass du sagen könntest: ich lasse eine Spur zurük auf Erden. Ach! und die Seele kann immer so voll Sehnens seyn, bei dem, dass sie so muthlos ist! Ich suchte immer etwas, aber ich wagte das Auge nicht aufzuschlagen vor den Menschen. Ich hatte Stunden, wo ich das Lachen eines Kindes fürchtete. Dabei war ich meist sehr still und geduldig, hatte oft auch einen wunderbaren Aberglauben an die Heilkraft mancher Dinge; von einer Taube, die ich kaufte, von einer Kahnfahrt, von einem Thale, das die Berge mir verbargen, konnt’ ich Trost erwarten. Genug! genug! wär’ ich mit Themistocles aufgewachsen, hätt’ ich unter den Scipionen gelebt, meine Seele hätte sich wahrlich nie von dieser Seite kennen gelernt. Hyperion an Bellarmin. Zuweilen regte noch sich eine Geisteskraft in mir. Aber freilich nur zerstörend! Was ist der Mensch? konnt’ ich beginnen; wie kommt es, dass so etwas in der Welt ist, das, wie ein Chaos, gährt, oder modert, wie <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div type="chapter" n="2"> <p><pb facs="#f0083"/> sich sagt, du musst hinunter und nichts bleibt übrig von dir; keine Blume hast du gepflanzt, keine Hütte gebaut, nur dass du sagen könntest: ich lasse eine Spur zurük auf Erden. Ach! und die Seele kann immer so voll Sehnens seyn, bei dem, dass sie so muthlos ist!</p><lb/> <p>Ich suchte immer etwas, aber ich wagte das Auge nicht aufzuschlagen vor den Menschen. Ich hatte Stunden, wo ich das Lachen eines Kindes fürchtete.</p><lb/> <p>Dabei war ich meist sehr still und geduldig, hatte oft auch einen wunderbaren Aberglauben an die Heilkraft mancher Dinge; von einer Taube, die ich kaufte, von einer Kahnfahrt, von einem Thale, das die Berge mir verbargen, konnt’ ich Trost erwarten.</p><lb/> <p>Genug! genug! wär’ ich mit Themistocles aufgewachsen, hätt’ ich unter den Scipionen gelebt, meine Seele hätte sich wahrlich nie von dieser Seite kennen gelernt.</p><lb/> </div><lb/> <div type="chapter" n="2"> <head><hi rendition="#g #k">Hyperion</hi> an <hi rendition="#g #k">Bellarmin</hi>.</head><lb/> <p>Zuweilen regte noch sich eine Geisteskraft in mir. Aber freilich nur zerstörend!</p><lb/> <p>Was ist der Mensch? konnt’ ich beginnen; wie kommt es, dass so etwas in der Welt ist, das, wie ein Chaos, gährt, oder modert, wie </p> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0083]
sich sagt, du musst hinunter und nichts bleibt übrig von dir; keine Blume hast du gepflanzt, keine Hütte gebaut, nur dass du sagen könntest: ich lasse eine Spur zurük auf Erden. Ach! und die Seele kann immer so voll Sehnens seyn, bei dem, dass sie so muthlos ist!
Ich suchte immer etwas, aber ich wagte das Auge nicht aufzuschlagen vor den Menschen. Ich hatte Stunden, wo ich das Lachen eines Kindes fürchtete.
Dabei war ich meist sehr still und geduldig, hatte oft auch einen wunderbaren Aberglauben an die Heilkraft mancher Dinge; von einer Taube, die ich kaufte, von einer Kahnfahrt, von einem Thale, das die Berge mir verbargen, konnt’ ich Trost erwarten.
Genug! genug! wär’ ich mit Themistocles aufgewachsen, hätt’ ich unter den Scipionen gelebt, meine Seele hätte sich wahrlich nie von dieser Seite kennen gelernt.
Hyperion an Bellarmin.
Zuweilen regte noch sich eine Geisteskraft in mir. Aber freilich nur zerstörend!
Was ist der Mensch? konnt’ ich beginnen; wie kommt es, dass so etwas in der Welt ist, das, wie ein Chaos, gährt, oder modert, wie
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Zitationshilfe: | Hölderlin, Friedrich: Hyperion. Erster Band. Tübingen, 1797, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/hoelderlin_hyperion01_1797/83>, abgerufen am 16.07.2024. |