Hölderlin, Friedrich: Hyperion. Erster Band. Tübingen, 1797.mehr getroffen wurdest, als Du trafst, so wurdest du scheu und zweifeltest an Dir und allem; denn Du bist so empfindlich, als Du heftig bist. Aber dadurch ist nichts verloren. Wäre dein Gemüth und deine Thätigkeit so frühe reif geworden, so wäre dein Geist nicht, was er ist; Du wärst der denkende Mensch nicht, wärst Du nicht der leidende, der gährende Mensch gewesen. Glaube mir, Du hättest nie das Gleichgewicht der schönen Menschheit so rein erkannt, hättest Du es nicht so sehr verloren gehabt. Dein Herz hat endlich Frieden gefunden. Ich will es glauben. Ich versteh es. Aber denkst du wirklich, dass Du nun am Ende seyst? Willst Du dich verschliessen in den Himmel deiner Liebe, und die Welt, die Deiner bedürfte, verdorren und erkalten lassen unter Dir? Du musst, wie der Lichtstral, herab, wie der allerfrischende Regen, musst Du nieder in's Land der Sterblichkeit, Du musst erleuchten, wie Apoll, erschüttern, beleben, wie Jupiter, sonst bist Du deines Himmels nicht werth. Ich bitte Dich, geh nach Athen hinein, noch Einmal, und siehe die Menschen auch an, die dort herumgehn unter den Trümmern, die rohen Albaner und die andern guten kindischen Griechen, die mit einem lustigen Tanze und mehr getroffen wurdest, als Du trafst, so wurdest du scheu und zweifeltest an Dir und allem; denn Du bist so empfindlich, als Du heftig bist. Aber dadurch ist nichts verloren. Wäre dein Gemüth und deine Thätigkeit so frühe reif geworden, so wäre dein Geist nicht, was er ist; Du wärst der denkende Mensch nicht, wärst Du nicht der leidende, der gährende Mensch gewesen. Glaube mir, Du hättest nie das Gleichgewicht der schönen Menschheit so rein erkannt, hättest Du es nicht so sehr verloren gehabt. Dein Herz hat endlich Frieden gefunden. Ich will es glauben. Ich versteh es. Aber denkst du wirklich, dass Du nun am Ende seyst? Willst Du dich verschliessen in den Himmel deiner Liebe, und die Welt, die Deiner bedürfte, verdorren und erkalten lassen unter Dir? Du musst, wie der Lichtstral, herab, wie der allerfrischende Regen, musst Du nieder in’s Land der Sterblichkeit, Du musst erleuchten, wie Apoll, erschüttern, beleben, wie Jupiter, sonst bist Du deines Himmels nicht werth. Ich bitte Dich, geh nach Athen hinein, noch Einmal, und siehe die Menschen auch an, die dort herumgehn unter den Trümmern, die rohen Albaner und die andern guten kindischen Griechen, die mit einem lustigen Tanze und <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div type="chapter" n="2"> <p><pb facs="#f0163"/> mehr getroffen wurdest, als Du trafst, so wurdest du scheu und zweifeltest an Dir und allem; denn Du bist so empfindlich, als Du heftig bist. Aber dadurch ist nichts verloren. Wäre dein Gemüth und deine Thätigkeit so frühe reif geworden, so wäre dein Geist nicht, was er ist; Du wärst der denkende Mensch nicht, wärst Du nicht der leidende, der gährende Mensch gewesen. Glaube mir, Du hättest nie das Gleichgewicht der schönen Menschheit so rein erkannt, hättest Du es nicht so sehr verloren gehabt. Dein Herz hat endlich Frieden gefunden. Ich will es glauben. Ich versteh es. Aber denkst du wirklich, dass Du nun am Ende seyst? Willst Du dich verschliessen in den Himmel deiner Liebe, und die Welt, die Deiner bedürfte, verdorren und erkalten lassen unter Dir? Du musst, wie der Lichtstral, herab, wie der allerfrischende Regen, musst Du nieder in’s Land der Sterblichkeit, Du musst erleuchten, wie Apoll, erschüttern, beleben, wie Jupiter, sonst bist Du deines Himmels nicht werth. Ich bitte Dich, geh nach Athen hinein, noch Einmal, und siehe die Menschen auch an, die dort herumgehn unter den Trümmern, die rohen Albaner und die andern guten kindischen Griechen, die mit einem lustigen Tanze und </p> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0163]
mehr getroffen wurdest, als Du trafst, so wurdest du scheu und zweifeltest an Dir und allem; denn Du bist so empfindlich, als Du heftig bist. Aber dadurch ist nichts verloren. Wäre dein Gemüth und deine Thätigkeit so frühe reif geworden, so wäre dein Geist nicht, was er ist; Du wärst der denkende Mensch nicht, wärst Du nicht der leidende, der gährende Mensch gewesen. Glaube mir, Du hättest nie das Gleichgewicht der schönen Menschheit so rein erkannt, hättest Du es nicht so sehr verloren gehabt. Dein Herz hat endlich Frieden gefunden. Ich will es glauben. Ich versteh es. Aber denkst du wirklich, dass Du nun am Ende seyst? Willst Du dich verschliessen in den Himmel deiner Liebe, und die Welt, die Deiner bedürfte, verdorren und erkalten lassen unter Dir? Du musst, wie der Lichtstral, herab, wie der allerfrischende Regen, musst Du nieder in’s Land der Sterblichkeit, Du musst erleuchten, wie Apoll, erschüttern, beleben, wie Jupiter, sonst bist Du deines Himmels nicht werth. Ich bitte Dich, geh nach Athen hinein, noch Einmal, und siehe die Menschen auch an, die dort herumgehn unter den Trümmern, die rohen Albaner und die andern guten kindischen Griechen, die mit einem lustigen Tanze und
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Zitationshilfe: | Hölderlin, Friedrich: Hyperion. Erster Band. Tübingen, 1797, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/hoelderlin_hyperion01_1797/163>, abgerufen am 16.02.2025. |