Hölderlin, Friedrich: Hyperion. Erster Band. Tübingen, 1797.schwärmenden Kräfte waren all' in Eine goldne Mitte versammelt. Wir sprachen unter einander von der Treflichkeit des alten Athenervolks, woher sie komme, worinn sie bestehe. Einer sagte, das Klima hat es gemacht; der andere: die Kunst und Philosophie; der dritte: Religion und Staatsform. Athenische Kunst und Religion, und Philosophie und Staatsform, sagt' ich, sind Blüthen und Früchte des Baums, nicht Boden und Wurzel. Ihr nehmt die Wirkungen für die Ursache. Wer aber mir sagt, das Klima habe diess alles gebildet, der denke, dass auch wir darinn noch leben. Ungestörter in jedem Betracht, von gewaltsamem Einfluss freier, als irgend ein Volk der Erde, erwuchs das Volk der Athener. Kein Eroberer schwächt sie, kein Kriegsglük berauscht sie, kein fremder Götterdienst betäubt sie, keine eilfertige Weisheit treibt sie zu unzeitiger Reife. Sich selber überlassen, wie der werdende Diamant, ist ihre Kindheit. Man hört beinahe nichts von ihnen, bis in die Zeiten des Pisistratus und Hipparch. Nur wenig Antheil nahmen sie am trojanischen Kriege, der, schwärmenden Kräfte waren all’ in Eine goldne Mitte versammelt. Wir sprachen unter einander von der Treflichkeit des alten Athenervolks, woher sie komme, worinn sie bestehe. Einer sagte, das Klima hat es gemacht; der andere: die Kunst und Philosophie; der dritte: Religion und Staatsform. Athenische Kunst und Religion, und Philosophie und Staatsform, sagt’ ich, sind Blüthen und Früchte des Baums, nicht Boden und Wurzel. Ihr nehmt die Wirkungen für die Ursache. Wer aber mir sagt, das Klima habe diess alles gebildet, der denke, dass auch wir darinn noch leben. Ungestörter in jedem Betracht, von gewaltsamem Einfluss freier, als irgend ein Volk der Erde, erwuchs das Volk der Athener. Kein Eroberer schwächt sie, kein Kriegsglük berauscht sie, kein fremder Götterdienst betäubt sie, keine eilfertige Weisheit treibt sie zu unzeitiger Reife. Sich selber überlassen, wie der werdende Diamant, ist ihre Kindheit. Man hört beinahe nichts von ihnen, bis in die Zeiten des Pisistratus und Hipparch. Nur wenig Antheil nahmen sie am trojanischen Kriege, der, <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div type="chapter" n="2"> <p><pb facs="#f0144"/> schwärmenden Kräfte waren all’ in Eine goldne Mitte versammelt.</p><lb/> <p>Wir sprachen unter einander von der Treflichkeit des alten Athenervolks, woher sie komme, worinn sie bestehe.</p><lb/> <p>Einer sagte, das Klima hat es gemacht; der andere: die Kunst und Philosophie; der dritte: Religion und Staatsform.</p><lb/> <p>Athenische Kunst und Religion, und Philosophie und Staatsform, sagt’ ich, sind Blüthen und Früchte des Baums, nicht Boden und Wurzel. Ihr nehmt die Wirkungen für die Ursache.</p><lb/> <p>Wer aber mir sagt, das Klima habe diess alles gebildet, der denke, dass auch wir darinn noch leben.</p><lb/> <p>Ungestörter in jedem Betracht, von gewaltsamem Einfluss freier, als irgend ein Volk der Erde, erwuchs das Volk der Athener. Kein Eroberer schwächt sie, kein Kriegsglük berauscht sie, kein fremder Götterdienst betäubt sie, keine eilfertige Weisheit treibt sie zu unzeitiger Reife. Sich selber überlassen, wie der werdende Diamant, ist ihre Kindheit. Man hört beinahe nichts von ihnen, bis in die Zeiten des Pisistratus und Hipparch. Nur wenig Antheil nahmen sie am trojanischen Kriege, der, </p> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0144]
schwärmenden Kräfte waren all’ in Eine goldne Mitte versammelt.
Wir sprachen unter einander von der Treflichkeit des alten Athenervolks, woher sie komme, worinn sie bestehe.
Einer sagte, das Klima hat es gemacht; der andere: die Kunst und Philosophie; der dritte: Religion und Staatsform.
Athenische Kunst und Religion, und Philosophie und Staatsform, sagt’ ich, sind Blüthen und Früchte des Baums, nicht Boden und Wurzel. Ihr nehmt die Wirkungen für die Ursache.
Wer aber mir sagt, das Klima habe diess alles gebildet, der denke, dass auch wir darinn noch leben.
Ungestörter in jedem Betracht, von gewaltsamem Einfluss freier, als irgend ein Volk der Erde, erwuchs das Volk der Athener. Kein Eroberer schwächt sie, kein Kriegsglük berauscht sie, kein fremder Götterdienst betäubt sie, keine eilfertige Weisheit treibt sie zu unzeitiger Reife. Sich selber überlassen, wie der werdende Diamant, ist ihre Kindheit. Man hört beinahe nichts von ihnen, bis in die Zeiten des Pisistratus und Hipparch. Nur wenig Antheil nahmen sie am trojanischen Kriege, der,
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