Hölderlin, Friedrich: Hyperion. Erster Band. Tübingen, 1797.nicht gar zu troken sein "schönen Tag!" mir zurief! Wenn ein kleines Mädchen aus dem Walde kam und einen Erdbeerstraus mir zum Verkauffe reichte, mit einer Miene, als wollte sie ihn schenken, oder wenn ein Bauer, wo ich vorübergieng, auf seinem Kirschbaum sass und pflükte, und aus den Zweigen herab mir rief, ob ich nicht eine Handvoll kosten möchte; das waren gute Zeichen für das abergläubische Herz! Stand vollends gegen den Weg her, wo ich herabkam, von Diotima's Fenstern eines offen, wie konnte das so wohlthun! Sie hatte vieleicht nicht lange zuvor herausgesehn. Und nun stand ich vor ihr, athemlos und wankend, und drükte die verschlungnen Arme gegen mein Herz, sein Zittern nicht zu fühlen, und, wie der Schwimmer aus reissenden Wassern hervor, rang und strebte mein Geist, nicht unterzugehn in der unendlichen Liebe. Wovon sprechen wir doch geschwind? konnt' ich rufen, man hat oft seine Mühe, man kann den Stoff nicht finden, die Gedanken daran vestzuhalten. nicht gar zu troken sein „schönen Tag!“ mir zurief! Wenn ein kleines Mädchen aus dem Walde kam und einen Erdbeerstraus mir zum Verkauffe reichte, mit einer Miene, als wollte sie ihn schenken, oder wenn ein Bauer, wo ich vorübergieng, auf seinem Kirschbaum sass und pflükte, und aus den Zweigen herab mir rief, ob ich nicht eine Handvoll kosten möchte; das waren gute Zeichen für das abergläubische Herz! Stand vollends gegen den Weg her, wo ich herabkam, von Diotima’s Fenstern eines offen, wie konnte das so wohlthun! Sie hatte vieleicht nicht lange zuvor herausgesehn. Und nun stand ich vor ihr, athemlos und wankend, und drükte die verschlungnen Arme gegen mein Herz, sein Zittern nicht zu fühlen, und, wie der Schwimmer aus reissenden Wassern hervor, rang und strebte mein Geist, nicht unterzugehn in der unendlichen Liebe. Wovon sprechen wir doch geschwind? konnt’ ich rufen, man hat oft seine Mühe, man kann den Stoff nicht finden, die Gedanken daran vestzuhalten. <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div type="chapter" n="2"> <p><pb facs="#f0122"/> nicht gar zu troken sein „schönen Tag!“ mir zurief!</p><lb/> <p>Wenn ein kleines Mädchen aus dem Walde kam und einen Erdbeerstraus mir zum Verkauffe reichte, mit einer Miene, als wollte sie ihn schenken, oder wenn ein Bauer, wo ich vorübergieng, auf seinem Kirschbaum sass und pflükte, und aus den Zweigen herab mir rief, ob ich nicht eine Handvoll kosten möchte; das waren gute Zeichen für das abergläubische Herz!</p><lb/> <p>Stand vollends gegen den Weg her, wo ich herabkam, von Diotima’s Fenstern eines offen, wie konnte das so wohlthun!</p><lb/> <p>Sie hatte vieleicht nicht lange zuvor herausgesehn.</p><lb/> <p>Und nun stand ich vor ihr, athemlos und wankend, und drükte die verschlungnen Arme gegen mein Herz, sein Zittern nicht zu fühlen, und, wie der Schwimmer aus reissenden Wassern hervor, rang und strebte mein Geist, nicht unterzugehn in der unendlichen Liebe.</p><lb/> <p>Wovon sprechen wir doch geschwind? konnt’ ich rufen, man hat oft seine Mühe, man kann den Stoff nicht finden, die Gedanken daran vestzuhalten.</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0122]
nicht gar zu troken sein „schönen Tag!“ mir zurief!
Wenn ein kleines Mädchen aus dem Walde kam und einen Erdbeerstraus mir zum Verkauffe reichte, mit einer Miene, als wollte sie ihn schenken, oder wenn ein Bauer, wo ich vorübergieng, auf seinem Kirschbaum sass und pflükte, und aus den Zweigen herab mir rief, ob ich nicht eine Handvoll kosten möchte; das waren gute Zeichen für das abergläubische Herz!
Stand vollends gegen den Weg her, wo ich herabkam, von Diotima’s Fenstern eines offen, wie konnte das so wohlthun!
Sie hatte vieleicht nicht lange zuvor herausgesehn.
Und nun stand ich vor ihr, athemlos und wankend, und drükte die verschlungnen Arme gegen mein Herz, sein Zittern nicht zu fühlen, und, wie der Schwimmer aus reissenden Wassern hervor, rang und strebte mein Geist, nicht unterzugehn in der unendlichen Liebe.
Wovon sprechen wir doch geschwind? konnt’ ich rufen, man hat oft seine Mühe, man kann den Stoff nicht finden, die Gedanken daran vestzuhalten.
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Zitationshilfe: | Hölderlin, Friedrich: Hyperion. Erster Band. Tübingen, 1797, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/hoelderlin_hyperion01_1797/122>, abgerufen am 16.07.2024. |