Hölderlin, Friedrich: Hyperion. Erster Band. Tübingen, 1797.Man kennt den stolzhinschiffenden Schwan nicht, wenn er schlummernd am Ufer sizt. Nur, wenn sie sang, erkannte man die liebende Schweigende, die so ungern sich zur Sprache verstand. Da, da gieng erst die himmlische Ungefällige in ihrer Majestät und Lieblichkeit hervor; da weht' es oft so bittend und so schmeichelnd, oft, wie ein Göttergebot, von den zarten blühenden Lippen. Und wie das Herz sich regt' in dieser göttlichen Stimme, wie alle Grösse und Demuth, alle Lust und alle Trauer des Lebens verschönert im Adel dieser Töne erschien! Wie im Fluge die Schwalbe die Bienen hascht, ergriff sie immer uns alle. Es kam nicht Lust und nicht Bewunderung, es kam der Friede des Himmels unter uns. Tausendmal hab' ich es ihr und mir gesagt: das Schönste ist auch das Heiligste. Und so war alles an ihr. Wie ihr Gesang, so auch ihr Leben. Hyperion an Bellarmin. Unter den Blumen war ihr Herz zu Hause, als wär' es eine von ihnen. Man kennt den stolzhinschiffenden Schwan nicht, wenn er schlummernd am Ufer sizt. Nur, wenn sie sang, erkannte man die liebende Schweigende, die so ungern sich zur Sprache verstand. Da, da gieng erst die himmlische Ungefällige in ihrer Majestät und Lieblichkeit hervor; da weht’ es oft so bittend und so schmeichelnd, oft, wie ein Göttergebot, von den zarten blühenden Lippen. Und wie das Herz sich regt’ in dieser göttlichen Stimme, wie alle Grösse und Demuth, alle Lust und alle Trauer des Lebens verschönert im Adel dieser Töne erschien! Wie im Fluge die Schwalbe die Bienen hascht, ergriff sie immer uns alle. Es kam nicht Lust und nicht Bewunderung, es kam der Friede des Himmels unter uns. Tausendmal hab’ ich es ihr und mir gesagt: das Schönste ist auch das Heiligste. Und so war alles an ihr. Wie ihr Gesang, so auch ihr Leben. Hyperion an Bellarmin. Unter den Blumen war ihr Herz zu Hause, als wär’ es eine von ihnen. <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div type="chapter" n="2"> <pb facs="#f0105"/> <p>Man kennt den stolzhinschiffenden Schwan nicht, wenn er schlummernd am Ufer sizt.</p><lb/> <p>Nur, wenn sie sang, erkannte man die liebende Schweigende, die so ungern sich zur Sprache verstand.</p><lb/> <p>Da, da gieng erst die himmlische Ungefällige in ihrer Majestät und Lieblichkeit hervor; da weht’ es oft so bittend und so schmeichelnd, oft, wie ein Göttergebot, von den zarten blühenden Lippen. Und wie das Herz sich regt’ in dieser göttlichen Stimme, wie alle Grösse und Demuth, alle Lust und alle Trauer des Lebens verschönert im Adel dieser Töne erschien!</p><lb/> <p>Wie im Fluge die Schwalbe die Bienen hascht, ergriff sie immer uns alle.</p><lb/> <p>Es kam nicht Lust und nicht Bewunderung, es kam der Friede des Himmels unter uns.</p><lb/> <p>Tausendmal hab’ ich es ihr und mir gesagt: das Schönste ist auch das Heiligste. Und so war alles an ihr. Wie ihr Gesang, so auch ihr Leben.</p><lb/> </div><lb/> <div type="chapter" n="2"> <head><hi rendition="#g #k">Hyperion</hi> an <hi rendition="#g #k">Bellarmin</hi>.</head><lb/> <p>Unter den Blumen war ihr Herz zu Hause, als wär’ es eine von ihnen.</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0105]
Man kennt den stolzhinschiffenden Schwan nicht, wenn er schlummernd am Ufer sizt.
Nur, wenn sie sang, erkannte man die liebende Schweigende, die so ungern sich zur Sprache verstand.
Da, da gieng erst die himmlische Ungefällige in ihrer Majestät und Lieblichkeit hervor; da weht’ es oft so bittend und so schmeichelnd, oft, wie ein Göttergebot, von den zarten blühenden Lippen. Und wie das Herz sich regt’ in dieser göttlichen Stimme, wie alle Grösse und Demuth, alle Lust und alle Trauer des Lebens verschönert im Adel dieser Töne erschien!
Wie im Fluge die Schwalbe die Bienen hascht, ergriff sie immer uns alle.
Es kam nicht Lust und nicht Bewunderung, es kam der Friede des Himmels unter uns.
Tausendmal hab’ ich es ihr und mir gesagt: das Schönste ist auch das Heiligste. Und so war alles an ihr. Wie ihr Gesang, so auch ihr Leben.
Hyperion an Bellarmin.
Unter den Blumen war ihr Herz zu Hause, als wär’ es eine von ihnen.
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