Hölderlin, Friedrich: Hyperion. Erster Band. Tübingen, 1797.Hyperion an Bellarmin. Ein paar Tage drauf kamen sie herauf zu uns. Wir giengen zusammen im Garten herum. Diotima und ich geriethen voraus, vertieft, mir traten oft Thränen der Wonne in's Auge, über das Heilige, das so anspruchlos zur Seite mir gieng. Vorn am Rande des Berggipfels standen wir nun, und sahn hinaus, in den unendlichen Osten. Diotima's Auge öffnete sich weit, und leise, wie eine Knospe sich aufschliesst, schloss das liebe Gesichtchen vor den Lüften des Himmels sich auf, ward lauter Sprache und Seele, und, als begänne sie den Flug in die Wolken, stand sanft empor gestrekt die ganze Gestalt, in leichter Majestät, und berührte kaum mit den Füssen die Erde. O unter den Armen hätt' ich sie fassen mögen, wie der Adler seinen Ganymed, und hinfliegen mit ihr über das Meer und seine Inseln. Nun trat sie weiter vor, und sah die schroffe Felsenwand hinab. Sie hatte ihre Lust daran, die schrökende Tiefe zu messen, und sich
I. Bd. G
Hyperion an Bellarmin. Ein paar Tage drauf kamen sie herauf zu uns. Wir giengen zusammen im Garten herum. Diotima und ich geriethen voraus, vertieft, mir traten oft Thränen der Wonne in’s Auge, über das Heilige, das so anspruchlos zur Seite mir gieng. Vorn am Rande des Berggipfels standen wir nun, und sahn hinaus, in den unendlichen Osten. Diotima’s Auge öffnete sich weit, und leise, wie eine Knospe sich aufschliesst, schloss das liebe Gesichtchen vor den Lüften des Himmels sich auf, ward lauter Sprache und Seele, und, als begänne sie den Flug in die Wolken, stand sanft empor gestrekt die ganze Gestalt, in leichter Majestät, und berührte kaum mit den Füssen die Erde. O unter den Armen hätt’ ich sie fassen mögen, wie der Adler seinen Ganymed, und hinfliegen mit ihr über das Meer und seine Inseln. Nun trat sie weiter vor, und sah die schroffe Felsenwand hinab. Sie hatte ihre Lust daran, die schrökende Tiefe zu messen, und sich
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Hyperion an Bellarmin.
Ein paar Tage drauf kamen sie herauf zu uns. Wir giengen zusammen im Garten herum. Diotima und ich geriethen voraus, vertieft, mir traten oft Thränen der Wonne in’s Auge, über das Heilige, das so anspruchlos zur Seite mir gieng.
Vorn am Rande des Berggipfels standen wir nun, und sahn hinaus, in den unendlichen Osten.
Diotima’s Auge öffnete sich weit, und leise, wie eine Knospe sich aufschliesst, schloss das liebe Gesichtchen vor den Lüften des Himmels sich auf, ward lauter Sprache und Seele, und, als begänne sie den Flug in die Wolken, stand sanft empor gestrekt die ganze Gestalt, in leichter Majestät, und berührte kaum mit den Füssen die Erde.
O unter den Armen hätt’ ich sie fassen mögen, wie der Adler seinen Ganymed, und hinfliegen mit ihr über das Meer und seine Inseln.
Nun trat sie weiter vor, und sah die schroffe Felsenwand hinab. Sie hatte ihre Lust daran, die schrökende Tiefe zu messen, und sich
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