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Hölderlin, Friedrich: Gedichte. Stuttgart u. a., 1826.

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Und milde wird in ihm der Streit der Welt,
Die Menschen und die Götter söhnt er aus,
Und näher wieder leben sie, wie vormals.
Und daß, wenn er erschienen ist, der Sohn
Nicht größer, denn die Eltern sey, und nicht
Der heil'ge Lebensgeist gefesselt bleibe,
Vergessen über ihm, dem Einzigen,
So lenkt er aus, der Abgott seiner Zeit,
Zerbricht, er selbst, damit durch seine Hand
Dem Reinen das Nothwendige geschehe,
Sein eigen Glück, das ihm zu glücklich ist,
Und giebt, was er besaß, dem Element,
Das ihn verherrlichte, geläutert wieder. --

Bist du der Mann? derselbe? bist du der?
Empedokles.
Ich kenne dich im finstern Wort, und du,
Du Alles Wissender! erkennst mich auch.
O sage, wer du bist! und wer bin ich?
-- -- -- -- -- -- -- -- -- -- --
-- -- -- -- -- -- -- -- -- -- --
Ein Knabe war ich, wußte nicht, was mir
Ums Auge fremd am Tage sich bewegt',
Und wunderbar umfiengen mir die großen
Gestalten dieser Welt, die freudigen,
Mein unerfahren schlummernd Herz im Busen.
Und staunend hört' ich oft die Wasser gehn,
Und milde wird in ihm der Streit der Welt,
Die Menſchen und die Goͤtter ſoͤhnt er aus,
Und naͤher wieder leben ſie, wie vormals.
Und daß, wenn er erſchienen iſt, der Sohn
Nicht groͤßer, denn die Eltern ſey, und nicht
Der heil'ge Lebensgeiſt gefeſſelt bleibe,
Vergeſſen uͤber ihm, dem Einzigen,
So lenkt er aus, der Abgott ſeiner Zeit,
Zerbricht, er ſelbſt, damit durch ſeine Hand
Dem Reinen das Nothwendige geſchehe,
Sein eigen Gluͤck, das ihm zu gluͤcklich iſt,
Und giebt, was er beſaß, dem Element,
Das ihn verherrlichte, gelaͤutert wieder. —

Biſt du der Mann? derſelbe? biſt du der?
Empedokles.
Ich kenne dich im finſtern Wort, und du,
Du Alles Wiſſender! erkennſt mich auch.
O ſage, wer du biſt! und wer bin ich?
— — — — — — — — — — —
— — — — — — — — — — —
Ein Knabe war ich, wußte nicht, was mir
Ums Auge fremd am Tage ſich bewegt',
Und wunderbar umfiengen mir die großen
Geſtalten dieſer Welt, die freudigen,
Mein unerfahren ſchlummernd Herz im Buſen.
Und ſtaunend hoͤrt' ich oft die Waſſer gehn,
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[222/0230] Und milde wird in ihm der Streit der Welt, Die Menſchen und die Goͤtter ſoͤhnt er aus, Und naͤher wieder leben ſie, wie vormals. Und daß, wenn er erſchienen iſt, der Sohn Nicht groͤßer, denn die Eltern ſey, und nicht Der heil'ge Lebensgeiſt gefeſſelt bleibe, Vergeſſen uͤber ihm, dem Einzigen, So lenkt er aus, der Abgott ſeiner Zeit, Zerbricht, er ſelbſt, damit durch ſeine Hand Dem Reinen das Nothwendige geſchehe, Sein eigen Gluͤck, das ihm zu gluͤcklich iſt, Und giebt, was er beſaß, dem Element, Das ihn verherrlichte, gelaͤutert wieder. — Biſt du der Mann? derſelbe? biſt du der? Empedokles. Ich kenne dich im finſtern Wort, und du, Du Alles Wiſſender! erkennſt mich auch. O ſage, wer du biſt! und wer bin ich? — — — — — — — — — — — — — — — — — — — — — — Ein Knabe war ich, wußte nicht, was mir Ums Auge fremd am Tage ſich bewegt', Und wunderbar umfiengen mir die großen Geſtalten dieſer Welt, die freudigen, Mein unerfahren ſchlummernd Herz im Buſen. Und ſtaunend hoͤrt' ich oft die Waſſer gehn,

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Zitationshilfe: Hölderlin, Friedrich: Gedichte. Stuttgart u. a., 1826, S. 222. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/hoelderlin_gedichte_1826/230>, abgerufen am 24.11.2024.