Hölderlin, Friedrich: Gedichte. Stuttgart u. a., 1826.Sie alle meinen, es wäre Sonst nirgend besser zu wohnen. Ich aber will dem Kaukasos zu! Denn sagen hört' ich Noch heut in den Lüften: Frei sey'n, wie Schwalben, die Dichter. Auch hat in jüngern Tagen Sonst Eines mir vertraut: Es seyen vor alter Zeit Die Unsrigen einst, ein sinnig Geschlecht, Still fortgezogen von Wellen der Donau, Dort mit der Sonne Kindern Am Sommertage, da diese Sich Schatten suchten, zusammen Am schwarzen Meere gekommen, Und nicht umsonst sey dieß Das gastfreundliche genennet. Denn als ihr Staunen vorüber war, Da nahten die Andern zuerst; dann setzten auch Die Unseren sich neugierig unter den Oelbaum. Doch, als sich ihre Gewande berührt, Und Keiner vernehmen konnte Die eigene Rede des Andern, wäre wohl Entstanden ein Zwist, wenn nicht aus Zweigen herunter Gekommen wäre die Kühlung, Die Lächeln über das Angesicht Sie alle meinen, es waͤre Sonſt nirgend beſſer zu wohnen. Ich aber will dem Kaukaſos zu! Denn ſagen hoͤrt' ich Noch heut in den Luͤften: Frei ſey'n, wie Schwalben, die Dichter. Auch hat in juͤngern Tagen Sonſt Eines mir vertraut: Es ſeyen vor alter Zeit Die Unſrigen einſt, ein ſinnig Geſchlecht, Still fortgezogen von Wellen der Donau, Dort mit der Sonne Kindern Am Sommertage, da dieſe Sich Schatten ſuchten, zuſammen Am ſchwarzen Meere gekommen, Und nicht umſonſt ſey dieß Das gaſtfreundliche genennet. Denn als ihr Staunen voruͤber war, Da nahten die Andern zuerſt; dann ſetzten auch Die Unſeren ſich neugierig unter den Oelbaum. Doch, als ſich ihre Gewande beruͤhrt, Und Keiner vernehmen konnte Die eigene Rede des Andern, waͤre wohl Entſtanden ein Zwiſt, wenn nicht aus Zweigen herunter Gekommen waͤre die Kuͤhlung, Die Laͤcheln uͤber das Angeſicht <TEI> <text> <body> <div n="1"> <lg type="poem"> <pb facs="#f0192" n="184"/> <l>Sie alle meinen, es waͤre</l><lb/> <l>Sonſt nirgend beſſer zu wohnen.</l><lb/> <l>Ich aber will dem Kaukaſos zu!</l><lb/> <l>Denn ſagen hoͤrt' ich</l><lb/> <l>Noch heut in den Luͤften:</l><lb/> <l>Frei ſey'n, wie Schwalben, die Dichter.</l><lb/> <l>Auch hat in juͤngern Tagen</l><lb/> <l>Sonſt Eines mir vertraut:</l><lb/> <l>Es ſeyen vor alter Zeit</l><lb/> <l>Die Unſrigen einſt, ein ſinnig Geſchlecht,</l><lb/> <l>Still fortgezogen von Wellen der Donau,</l><lb/> <l>Dort mit der Sonne Kindern</l><lb/> <l>Am Sommertage, da dieſe</l><lb/> <l>Sich Schatten ſuchten, zuſammen</l><lb/> <l>Am ſchwarzen Meere gekommen,</l><lb/> <l>Und nicht umſonſt ſey dieß</l><lb/> <l>Das gaſtfreundliche genennet.</l><lb/> <l>Denn als ihr Staunen voruͤber war,</l><lb/> <l>Da nahten die Andern zuerſt; dann ſetzten auch</l><lb/> <l>Die Unſeren ſich neugierig unter den Oelbaum.</l><lb/> <l>Doch, als ſich ihre Gewande beruͤhrt,</l><lb/> <l>Und Keiner vernehmen konnte</l><lb/> <l>Die eigene Rede des Andern, waͤre wohl</l><lb/> <l>Entſtanden ein Zwiſt, wenn nicht aus Zweigen</l><lb/> <l>herunter</l><lb/> <l>Gekommen waͤre die Kuͤhlung,</l><lb/> <l>Die Laͤcheln uͤber das Angeſicht</l><lb/> </lg> </div> </body> </text> </TEI> [184/0192]
Sie alle meinen, es waͤre
Sonſt nirgend beſſer zu wohnen.
Ich aber will dem Kaukaſos zu!
Denn ſagen hoͤrt' ich
Noch heut in den Luͤften:
Frei ſey'n, wie Schwalben, die Dichter.
Auch hat in juͤngern Tagen
Sonſt Eines mir vertraut:
Es ſeyen vor alter Zeit
Die Unſrigen einſt, ein ſinnig Geſchlecht,
Still fortgezogen von Wellen der Donau,
Dort mit der Sonne Kindern
Am Sommertage, da dieſe
Sich Schatten ſuchten, zuſammen
Am ſchwarzen Meere gekommen,
Und nicht umſonſt ſey dieß
Das gaſtfreundliche genennet.
Denn als ihr Staunen voruͤber war,
Da nahten die Andern zuerſt; dann ſetzten auch
Die Unſeren ſich neugierig unter den Oelbaum.
Doch, als ſich ihre Gewande beruͤhrt,
Und Keiner vernehmen konnte
Die eigene Rede des Andern, waͤre wohl
Entſtanden ein Zwiſt, wenn nicht aus Zweigen
herunter
Gekommen waͤre die Kuͤhlung,
Die Laͤcheln uͤber das Angeſicht
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