Hölderlin, Friedrich: Gedichte. Stuttgart u. a., 1826.Alt bin ich geworden indeß, mich bleichte der Eispol, Und im Feuer des Süds fielen die Locken mir aus. Doch wie Aurora den Tithon, umfängst du in lächeln- der Blüthe Warm und fröhlich, wie einst, Vaterlandserde, den Sohn. Seliges Land! kein Hügel in dir wächst ohne den Weinstock, Nieder ins schwellende Gras regnet im Herbste das Obst. Fröhlich baden im Strome den Fuß die glühenden Berge, Kränze von Zweigen und Moos kühlen ihr son- niges Haupt. Und, wie die Kinder hinauf zur Schulter des herrlichen Ahnherrn, Steigen am dunkeln Gebirg Vesten und Hütten hinauf. Friedsam geht aus dem Walde der Hirsch an's freundliche Tagslicht; Hoch in heiterer Luft siehet der Falke sich um. Aber unten im Thal, wo die Blume sich nährt von der Quelle, Streckt das Dörfchen vergnügt über die Wiese sich aus. Alt bin ich geworden indeß, mich bleichte der Eispol, Und im Feuer des Suͤds fielen die Locken mir aus. Doch wie Aurora den Tithon, umfaͤngſt du in laͤcheln- der Bluͤthe Warm und froͤhlich, wie einſt, Vaterlandserde, den Sohn. Seliges Land! kein Huͤgel in dir waͤchſt ohne den Weinſtock, Nieder ins ſchwellende Gras regnet im Herbſte das Obſt. Froͤhlich baden im Strome den Fuß die gluͤhenden Berge, Kraͤnze von Zweigen und Moos kuͤhlen ihr ſon- niges Haupt. Und, wie die Kinder hinauf zur Schulter des herrlichen Ahnherrn, Steigen am dunkeln Gebirg Veſten und Huͤtten hinauf. Friedſam geht aus dem Walde der Hirſch an's freundliche Tagslicht; Hoch in heiterer Luft ſiehet der Falke ſich um. Aber unten im Thal, wo die Blume ſich naͤhrt von der Quelle, Streckt das Doͤrfchen vergnuͤgt uͤber die Wieſe ſich aus. <TEI> <text> <body> <div n="1"> <lg type="poem"> <pb facs="#f0158" n="150"/> <l>Alt bin ich geworden indeß, mich bleichte der</l><lb/> <l>Eispol,</l><lb/> <l>Und im Feuer des Suͤds fielen die Locken mir</l><lb/> <l>aus.</l><lb/> <l>Doch wie Aurora den Tithon, umfaͤngſt du in laͤcheln-</l><lb/> <l>der Bluͤthe</l><lb/> <l>Warm und froͤhlich, wie einſt, Vaterlandserde,</l><lb/> <l>den Sohn.</l><lb/> <l>Seliges Land! kein Huͤgel in dir waͤchſt ohne den</l><lb/> <l>Weinſtock,</l><lb/> <l>Nieder ins ſchwellende Gras regnet im Herbſte</l><lb/> <l>das Obſt.</l><lb/> <l>Froͤhlich baden im Strome den Fuß die gluͤhenden</l><lb/> <l>Berge,</l><lb/> <l>Kraͤnze von Zweigen und Moos kuͤhlen ihr ſon-</l><lb/> <l>niges Haupt.</l><lb/> <l>Und, wie die Kinder hinauf zur Schulter des</l><lb/> <l>herrlichen Ahnherrn,</l><lb/> <l>Steigen am dunkeln Gebirg Veſten und Huͤtten</l><lb/> <l>hinauf.</l><lb/> <l>Friedſam geht aus dem Walde der Hirſch an's</l><lb/> <l>freundliche Tagslicht;</l><lb/> <l>Hoch in heiterer Luft ſiehet der Falke ſich um.</l><lb/> <l>Aber unten im Thal, wo die Blume ſich naͤhrt</l><lb/> <l>von der Quelle,</l><lb/> <l>Streckt das Doͤrfchen vergnuͤgt uͤber die Wieſe</l><lb/> <l>ſich aus.</l><lb/> </lg> </div> </body> </text> </TEI> [150/0158]
Alt bin ich geworden indeß, mich bleichte der
Eispol,
Und im Feuer des Suͤds fielen die Locken mir
aus.
Doch wie Aurora den Tithon, umfaͤngſt du in laͤcheln-
der Bluͤthe
Warm und froͤhlich, wie einſt, Vaterlandserde,
den Sohn.
Seliges Land! kein Huͤgel in dir waͤchſt ohne den
Weinſtock,
Nieder ins ſchwellende Gras regnet im Herbſte
das Obſt.
Froͤhlich baden im Strome den Fuß die gluͤhenden
Berge,
Kraͤnze von Zweigen und Moos kuͤhlen ihr ſon-
niges Haupt.
Und, wie die Kinder hinauf zur Schulter des
herrlichen Ahnherrn,
Steigen am dunkeln Gebirg Veſten und Huͤtten
hinauf.
Friedſam geht aus dem Walde der Hirſch an's
freundliche Tagslicht;
Hoch in heiterer Luft ſiehet der Falke ſich um.
Aber unten im Thal, wo die Blume ſich naͤhrt
von der Quelle,
Streckt das Doͤrfchen vergnuͤgt uͤber die Wieſe
ſich aus.
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Zitationshilfe: | Hölderlin, Friedrich: Gedichte. Stuttgart u. a., 1826, S. 150. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/hoelderlin_gedichte_1826/158>, abgerufen am 24.07.2024. |