Hölderlin, Friedrich: Gedichte. Stuttgart u. a., 1826.Nicht um Wasser rief ich dich an, Natur, in der Wüste, Wassers bewahrte mir traulich das fromme Kamel, Um der Haine Gesang, um Gestalten und Farben des Lebens Bat ich, vom lieblichen Glanz heimischer Fluren verwöhnt. Aber ich bat umsonst; du erschienst mir feurig und herrlich, Aber ich hatte dich einst göttlicher, schöner gesehn. Auch den Eispol hab' ich besucht; wie ein starren- des Chaos Thürmte das Meer sich da schrecklich zum Him- mel empor. Todt in der Hülle von Schnee schlief hier das gefesselte Leben, Und der eiserne Schlaf harrte des Tages umsonst. Ach! nicht schlang um die Erde den wärmenden Arm der Olymp hier, Wie Pygmalions Arm um die Geliebte sich schlang. Hier bewegt' er ihr nicht mit dem Sonnenblicke den Busen, Und in Regen und Thau sprach er nicht freundlich zu ihr. Mutter Erde! rief ich, du bist zur Wittwe ge- worden, Dürftig und kinderlos lebst du in langsamer Zeit. Nicht um Waſſer rief ich dich an, Natur, in der Wuͤſte, Waſſers bewahrte mir traulich das fromme Kamel, Um der Haine Geſang, um Geſtalten und Farben des Lebens Bat ich, vom lieblichen Glanz heimiſcher Fluren verwoͤhnt. Aber ich bat umſonſt; du erſchienſt mir feurig und herrlich, Aber ich hatte dich einſt goͤttlicher, ſchoͤner geſehn. Auch den Eispol hab' ich beſucht; wie ein ſtarren- des Chaos Thuͤrmte das Meer ſich da ſchrecklich zum Him- mel empor. Todt in der Huͤlle von Schnee ſchlief hier das gefeſſelte Leben, Und der eiſerne Schlaf harrte des Tages umſonſt. Ach! nicht ſchlang um die Erde den waͤrmenden Arm der Olymp hier, Wie Pygmalions Arm um die Geliebte ſich ſchlang. Hier bewegt' er ihr nicht mit dem Sonnenblicke den Buſen, Und in Regen und Thau ſprach er nicht freundlich zu ihr. Mutter Erde! rief ich, du biſt zur Wittwe ge- worden, Duͤrftig und kinderlos lebſt du in langſamer Zeit. <TEI> <text> <body> <div n="1"> <lg type="poem"> <pb facs="#f0156" n="148"/> <l>Nicht um Waſſer rief ich dich an, Natur, in der</l><lb/> <l>Wuͤſte,</l><lb/> <l>Waſſers bewahrte mir traulich das fromme Kamel,</l><lb/> <l>Um der Haine Geſang, um Geſtalten und Farben</l><lb/> <l>des Lebens</l><lb/> <l>Bat ich, vom lieblichen Glanz heimiſcher Fluren</l><lb/> <l>verwoͤhnt.</l><lb/> <l>Aber ich bat umſonſt; du erſchienſt mir feurig und</l><lb/> <l>herrlich,</l><lb/> <l>Aber ich hatte dich einſt goͤttlicher, ſchoͤner geſehn.</l><lb/> <l>Auch den Eispol hab' ich beſucht; wie ein ſtarren-</l><lb/> <l>des Chaos</l><lb/> <l>Thuͤrmte das Meer ſich da ſchrecklich zum Him-</l><lb/> <l>mel empor.</l><lb/> <l>Todt in der Huͤlle von Schnee ſchlief hier das</l><lb/> <l>gefeſſelte Leben,</l><lb/> <l>Und der eiſerne Schlaf harrte des Tages umſonſt.</l><lb/> <l>Ach! nicht ſchlang um die Erde den waͤrmenden</l><lb/> <l>Arm der Olymp hier,</l><lb/> <l>Wie Pygmalions Arm um die Geliebte ſich ſchlang.</l><lb/> <l>Hier bewegt' er ihr nicht mit dem Sonnenblicke</l><lb/> <l>den Buſen,</l><lb/> <l>Und in Regen und Thau ſprach er nicht freundlich</l><lb/> <l>zu ihr.</l><lb/> <l>Mutter Erde! rief ich, du biſt zur Wittwe ge-</l><lb/> <l>worden,</l><lb/> <l>Duͤrftig und kinderlos lebſt du in langſamer Zeit.</l><lb/> </lg> </div> </body> </text> </TEI> [148/0156]
Nicht um Waſſer rief ich dich an, Natur, in der
Wuͤſte,
Waſſers bewahrte mir traulich das fromme Kamel,
Um der Haine Geſang, um Geſtalten und Farben
des Lebens
Bat ich, vom lieblichen Glanz heimiſcher Fluren
verwoͤhnt.
Aber ich bat umſonſt; du erſchienſt mir feurig und
herrlich,
Aber ich hatte dich einſt goͤttlicher, ſchoͤner geſehn.
Auch den Eispol hab' ich beſucht; wie ein ſtarren-
des Chaos
Thuͤrmte das Meer ſich da ſchrecklich zum Him-
mel empor.
Todt in der Huͤlle von Schnee ſchlief hier das
gefeſſelte Leben,
Und der eiſerne Schlaf harrte des Tages umſonſt.
Ach! nicht ſchlang um die Erde den waͤrmenden
Arm der Olymp hier,
Wie Pygmalions Arm um die Geliebte ſich ſchlang.
Hier bewegt' er ihr nicht mit dem Sonnenblicke
den Buſen,
Und in Regen und Thau ſprach er nicht freundlich
zu ihr.
Mutter Erde! rief ich, du biſt zur Wittwe ge-
worden,
Duͤrftig und kinderlos lebſt du in langſamer Zeit.
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Zitationshilfe: | Hölderlin, Friedrich: Gedichte. Stuttgart u. a., 1826, S. 148. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/hoelderlin_gedichte_1826/156>, abgerufen am 16.02.2025. |