Hoefer, Edmund: Rolof, der Rekrut. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 12. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 233–295. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016.ehrlich selbst zuerst davon, und ich brachte ihn unschwer dazu, sie laufen zu lassen. Das Uebelste fürchtete ich erst vom Frühjahr, wenn das Wetter aufgeht und die Schifffahrt beginnt; denn so ein regulärer Seehund fern von der See ist wie ein Zugvogel in Gefangenschaft: sie merken beide ihre Zeit. Allein ich hoffte auch, daß wir dann aufbrechen, tiefer ins Land ziehen und ihm so seine Grillen vertrieben würden. So verging die Zeit, und wir waren bereits in den letzten Januartagen des Jahres 1806. Der Winter war bis dahin scharf gewesen, der Schnee gehäuft, und der Frost hatte, ohne auszusetzen, seit Monaten die Erde gehärtet und den Fluß mit fester Decke belegt. Nun aber sprang das Wetter mit einemmal um, es gab ein Paar trübe Tage mit lauem Wind aus Südwest und warmem Regen, der Schnee ging weg wie geleckt, das Eis begann zu knacken, und das Wasser stand hoch darüber. Am nächsten Tag war es Frühlingswetter, es thaute mit Macht, dabei war der Himmel blau, die Sonne strahlend, und Baum und Gesträuch schauten so lustig drein, als ob sie jeden Augenblick die Knospen herausschicken möchten. Ihr seht mich an und wundert euch, weil ich das noch so genau weiß. Aber ich weiß auch noch das Datum, ihr Herren, und es hat nicht den Anschein, als ob ich's je vergessen werde. Es war am siebenundzwanzigsten Januar und, wo ich nicht irre, ein Montag. Als wir, der Rolof und ich, am Morgen jenes ehrlich selbst zuerst davon, und ich brachte ihn unschwer dazu, sie laufen zu lassen. Das Uebelste fürchtete ich erst vom Frühjahr, wenn das Wetter aufgeht und die Schifffahrt beginnt; denn so ein regulärer Seehund fern von der See ist wie ein Zugvogel in Gefangenschaft: sie merken beide ihre Zeit. Allein ich hoffte auch, daß wir dann aufbrechen, tiefer ins Land ziehen und ihm so seine Grillen vertrieben würden. So verging die Zeit, und wir waren bereits in den letzten Januartagen des Jahres 1806. Der Winter war bis dahin scharf gewesen, der Schnee gehäuft, und der Frost hatte, ohne auszusetzen, seit Monaten die Erde gehärtet und den Fluß mit fester Decke belegt. Nun aber sprang das Wetter mit einemmal um, es gab ein Paar trübe Tage mit lauem Wind aus Südwest und warmem Regen, der Schnee ging weg wie geleckt, das Eis begann zu knacken, und das Wasser stand hoch darüber. Am nächsten Tag war es Frühlingswetter, es thaute mit Macht, dabei war der Himmel blau, die Sonne strahlend, und Baum und Gesträuch schauten so lustig drein, als ob sie jeden Augenblick die Knospen herausschicken möchten. Ihr seht mich an und wundert euch, weil ich das noch so genau weiß. Aber ich weiß auch noch das Datum, ihr Herren, und es hat nicht den Anschein, als ob ich's je vergessen werde. Es war am siebenundzwanzigsten Januar und, wo ich nicht irre, ein Montag. Als wir, der Rolof und ich, am Morgen jenes <TEI> <text> <body> <div> <p><pb facs="#f0045"/> ehrlich selbst zuerst davon, und ich brachte ihn unschwer dazu, sie laufen zu lassen. Das Uebelste fürchtete ich erst vom Frühjahr, wenn das Wetter aufgeht und die Schifffahrt beginnt; denn so ein regulärer Seehund fern von der See ist wie ein Zugvogel in Gefangenschaft: sie merken beide ihre Zeit. Allein ich hoffte auch, daß wir dann aufbrechen, tiefer ins Land ziehen und ihm so seine Grillen vertrieben würden.</p><lb/> <p>So verging die Zeit, und wir waren bereits in den letzten Januartagen des Jahres 1806. Der Winter war bis dahin scharf gewesen, der Schnee gehäuft, und der Frost hatte, ohne auszusetzen, seit Monaten die Erde gehärtet und den Fluß mit fester Decke belegt. Nun aber sprang das Wetter mit einemmal um, es gab ein Paar trübe Tage mit lauem Wind aus Südwest und warmem Regen, der Schnee ging weg wie geleckt, das Eis begann zu knacken, und das Wasser stand hoch darüber. Am nächsten Tag war es Frühlingswetter, es thaute mit Macht, dabei war der Himmel blau, die Sonne strahlend, und Baum und Gesträuch schauten so lustig drein, als ob sie jeden Augenblick die Knospen herausschicken möchten. Ihr seht mich an und wundert euch, weil ich das noch so genau weiß. Aber ich weiß auch noch das Datum, ihr Herren, und es hat nicht den Anschein, als ob ich's je vergessen werde. Es war am siebenundzwanzigsten Januar und, wo ich nicht irre, ein Montag.</p><lb/> <p>Als wir, der Rolof und ich, am Morgen jenes<lb/></p> </div> </body> </text> </TEI> [0045]
ehrlich selbst zuerst davon, und ich brachte ihn unschwer dazu, sie laufen zu lassen. Das Uebelste fürchtete ich erst vom Frühjahr, wenn das Wetter aufgeht und die Schifffahrt beginnt; denn so ein regulärer Seehund fern von der See ist wie ein Zugvogel in Gefangenschaft: sie merken beide ihre Zeit. Allein ich hoffte auch, daß wir dann aufbrechen, tiefer ins Land ziehen und ihm so seine Grillen vertrieben würden.
So verging die Zeit, und wir waren bereits in den letzten Januartagen des Jahres 1806. Der Winter war bis dahin scharf gewesen, der Schnee gehäuft, und der Frost hatte, ohne auszusetzen, seit Monaten die Erde gehärtet und den Fluß mit fester Decke belegt. Nun aber sprang das Wetter mit einemmal um, es gab ein Paar trübe Tage mit lauem Wind aus Südwest und warmem Regen, der Schnee ging weg wie geleckt, das Eis begann zu knacken, und das Wasser stand hoch darüber. Am nächsten Tag war es Frühlingswetter, es thaute mit Macht, dabei war der Himmel blau, die Sonne strahlend, und Baum und Gesträuch schauten so lustig drein, als ob sie jeden Augenblick die Knospen herausschicken möchten. Ihr seht mich an und wundert euch, weil ich das noch so genau weiß. Aber ich weiß auch noch das Datum, ihr Herren, und es hat nicht den Anschein, als ob ich's je vergessen werde. Es war am siebenundzwanzigsten Januar und, wo ich nicht irre, ein Montag.
Als wir, der Rolof und ich, am Morgen jenes
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Zitationshilfe: | Hoefer, Edmund: Rolof, der Rekrut. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 12. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 233–295. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/hoefer_rekrut_1910/45>, abgerufen am 16.02.2025. |